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Rad mal

Chancen und Potenziale

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Konrad Krause ist Geschäftsführer des ADFC Sachsen. Mit inzwischen 8600 Mitgliedern ist der Ableger des bundesweiten Interessenverbandes der größte Verein der Verkehrswende. Die Entscheidung, Mitglied zu werden, traf Konrad sehr spontan, auf einer ADFC-Demo im Gedenken an eine getötete Radfahrerin in Dresden. Nach ehrenamtlichem Engagement und Arbeit im Vorstand des ADFC Dresden wechselte er 2013 ins Hauptamt auf Landesebene. Sein Antrieb war damals wie heute: eine Gesellschaft, die Menschen nicht deshalb besser stellt, weil sie ein Auto haben. Wir sprachen mit Konrad über Ziele und Hürden auf dem Weg zum Fahrradland Sachsen.

Robert Strehler im Interview mit Konrad Krause

Hallo Konrad, was macht Sachsen deiner Meinung nach zu einem potenziellen Fahrradland, und auf welchem Abschnitt befinden wir uns gerade?

In allererster Linie sind es die Menschen, die mit ihren Rädern unterwegs sind und dafür sorgen, dass Sachsen auf dem Weg ist, ein Fahrradland zu werden. Viele Einwohner sind jetzt schon täglich mit dem Rad unterwegs – und es werden immer mehr. In Deutschland, aber ganz besonders in sächsischen Großstädten wie Leipzig, Dresden und Chemnitz verzeichnen wir einen Boom im Alltagsverkehr. Wir spüren zudem, dass die Menschen die Liebe zum Fahrrad immer stärker leben, in teures Equipment investieren, und die Kultur rund um das Fahrrad sich so immer weiter entfaltet.

Der ADFC Sachsen vertritt die Interessen der sächsischen ADFC Mitglieder gegenüber Behörden und Politik im Freistaat Sachsen sowie in den Gremien des ADFC-Bundesverbandes.

Was sind aus deiner Sicht die Gründe für diese spürbar positive Dynamik und Fahrradbegeisterung?

Die neue Dynamik im Fahrradbereich wird vor allem durch die Motorisierung, also das E-Bike, vorangetrieben. Überall dort, wo in Sachsen Berge sind, war bislang an Radfahren nur im Rahmen der Friedensfahrt oder rein sportlicher Aktivitäten zu denken. Wir beobachten, dass Menschen nun ihre alltäglichen Wege mit dem Rad erledigen können. Auch ältere Menschen, die sich gar nicht mehr aufs Fahrrad getraut haben, fahren plötzlich wieder mit einem E-Bike und erleben ein ganz neues Freiheitsgefühl – und lösen sich von ihrem Kfz. Hinzu kommt, dass an verschiedenen Orten in Sachsen in den vergangenen 30 Jahren eine gute touristische Infrastruktur entstanden ist. Der Elberadweg in Dresden lockt nicht nur Touristen an, sondern bietet auch dem Freizeitverkehr und Pendlern eine entspannte, schöne Strecke mitten in der Natur. Dieses Phänomen beobachten wir auch an der Oder, Neiße, Spree und Mulde. Auch viele kleine, gut ausgebaute Routen in den Städten und über Land ermöglichen den Menschen in Sachsen die freie Wahl über ihr Verkehrsmittel und bieten Raum für Fitness, Bewegung und einen sicheren Weg zur Arbeit. Ich sehe eine sehr große Entwicklung über die vergangenen Jahre. Im Übrigen ist Sachsen nach den drei Stadtstaaten bundesweit auch das Land mit der größten Quote an Menschen, die kein Auto besitzen. Ich gehe daher davon aus, dass auch deswegen in Sachsen Alternativangebote funktionieren.

An welcher Stelle können wir Sachsen im bundesweiten Vergleich einordnen? Wo geht die Reise hin?

Der ADFC wächst in Sachsen mit Abstand am schnellsten im bundesweiten Vergleich. Das ist zunächst ein Zeichen dafür, dass die Fahrradkultur wächst, aber auch dafür dass die Menschen nicht mehr bereit sind, lange auf die Politik zu warten, bis fundamentale Änderungen passieren und der Radverkehr weiter ausgebaut wird. Wir sind bei vielen Projekten auf dem Weg dahin mit dabei und konnten auch viele Fortschritte im Bereich Autofreies Pendeln, Radtourismus und Fahrrad-Wirtschaft verzeichnen. Wir haben einen unglaublichen Boom miterlebt, was Fahrradunternehmen angeht. Ich denke da zum Beispiel an das Dresdner Online-Handelsunternehmen für Fahrräder, Fahrradteile, Zubehör, Outdoorsportbekleidung und -bedarf Bike24 mit 200 Millionen Euro Jahresumsatz. Auch administrativ und politisch bewegt sich etwas, aber uns als ADFC kann es natürlich nie schnell genug gehen kann.

Was sind die größten Aufgaben und Projekte auf dem Weg zum Fahrradland in den nächsten Jahren?

Uns stehen noch viele Hürden bevor: Nicht nur in den sächsischen Städten weist die Fahrradinfrastruktur oftmals Lücken und Mängel auf, auch im ländlichen Raum hat die Verkehrsplanung der letzten Jahre die Bedürfnisse der Radfahrenden zu wenig beachtet. Was für den Alltagsradverkehr gilt, zeigt sich auch beim Radtourismus: Es ist unser Ziel, Sachsen auch für Besucher zu einem Fahrradland zu machen, aber auch hier gilt es, noch einige Hindernisse zu nehmen. Konzeptionell sind wir fertig, denn es gibt seit acht Jahren die Radverkehrskonzeption, mit der eigentlich klar ist, wo die Reise hingeht. Es ist nun an der Zeit, die Umsetzung zu beschleunigen. Das gilt zum Beispiel für das Thema Radschnellwege: Es ist wichtig, dass im sächsischen Landeshaushalt 2023/24 ausreichend Mittel und Personalressourcen dafür bereitgestellt werden, damit die sächsischen Radschnellverbindungen nicht weiter im Dornröschenschlaf verharren. Im Bereich Tourismus fehlt es an einem Gesamtkonzept, das definiert, wie wir nachhaltigen, naturnahen Radtourismus ins Land bekommen und diesen mit kulturellen Angeboten verbinden können. Sachsen könnte noch mehr von dem enormen wirtschaftlichen Potenzial des Radtourismus profitieren, wenn die Verbindung zwischen Zugverkehr und touristischen Fahrradwegen besser aufeinander abgestimmt wäre. Auch von seiner industriellen Tradition könnte unser Bundesland noch viel stärker profitieren: Sachsen hat wie keine andere Region das Zeug dazu, ein wirklicher Fahrradherstellungscluster zu werden. Wir erleben seit drei Jahren, wie schwierig es ist, an Fahrradteile ranzukommen, wenn Exportländer ihre Stahlwerke schließen. Niemand konnte sich während der Corona-Pandemie Zubehör kaufen. Dabei haben wir in Sachsen Produzenten vor Ort, die all diese notwendigen Teile herstellen könnten. Wir haben Reifenhersteller, Stahlrahmenbauer oder auch Akkuhersteller. Wenn wir zurückdenken, hatten wir 1914 in Dresden die größte Fahrradproduktion Europas – natürlich ist das nicht mehr aktuell, aber wir haben die Cluster als Industriestandort noch immer. Wir brauchen nur ein stärkeres Bewusstsein dafür! Wir sind weniger weit entfernt von einem Fahrradstandort als die anderen Bundesländer.

Konrad Krause, Geschäftsführer des ADFC Sachsen, setzt sich seit vielen Jahren für die Interessen der Radfahrenden ein.

Wo würde Sachsen 2030 stehen, wenn dieser Trend so weiterginge?

Wenn wir sagen, dass wir auf all diesen Gleisen mit Höchstgeschwindigkeit fahren, dann hat Sachsen das Zeug, in allen Aspekten ein Vorzeigeland für den Radverkehr zu sein – von der Herstellung über den Tourismus-, Alltags- und Pendlerverkehr bis zu beispielhaften infrastrukturellen Lösungen, die aktuell mit dem Wegebund erarbeitet werden. Wir haben noch acht Jahre Zeit – aber nur, wenn alle Kräfte zusammen nach vorn gehen, können wir ein Fahrradland werden. Wir haben die Chance, “Vision Zero” umzusetzen, sprich eine drastische Senkung der Zahl von Toten und Verletzten im Straßenverkehr herbeizuführen. Wir haben die Möglichkeit, für attraktive Innenstädte zu sorgen, Bahnverkehr und Tourismus zu kombinieren und so unsere Klimaziele sowie unsere gesundheitspolitischen Ziele zu erreichen. Das Fahrrad ist der Gamechanger.

Vielen Dank.