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Die Heldenmacher

Was macht man mit einem Teenager, der nichts anderes im Kopf hat als das Tanzen?

Den sonst nichts interessiert, der keine Lust hat, sich mit Berufsbildern zu beschäftigen, geschweige denn damit, Bewerbungen zu schreiben? Überlässt man ihn seinem Schicksal? Drängt man ihn in eine Ausbildung, die er vermutlich abbrechen wird? Marcell Heinrich und Michael Senf sind einen anderen Weg gegangen: Sie haben ihn ermutigt und befähigt, seiner Leidenschaft zu folgen – und ihm so eine Perspektive gegeben.

Genau das ist das Ziel ihres Leipziger Unternehmens. „Hero Society“ haben sie es genannt. Nicht weil sie sich für Helden halten, sondern weil sie überzeugt sind, dass in jedem Menschen Superkräfte schlummern: Talente, die nur entdeckt, vor allem aber auch entfaltet werden müssen. „Wenn jeder das täte, was er liebt, gäbe es weniger Ängste und mehr Zufriedenheit. Wir hätten eine bessere Gesellschaft“, sagt Michael Senf.

Deutscher Meister statt Arbeitslosigkeit

Das mag ein wenig naiv klingen, doch die beiden Gründer der „Hero Society“ beweisen mit ihrem Unternehmen beinahe täglich, wie viel da dran ist. Der Teenager, der nur das Tanzen im Kopf hatte, verdient heute mit seiner Kunst genug Geld, um davon zu leben. Statt in die Arbeitslosigkeit zu rutschen, wurde er mit seiner Breakdance-Crew „The Saxonz“ deutscher Meister – und gibt heute selbst Workshops für Jugendliche. Es ist eine von vielen Erfolgsgeschichten, die Marcell Heinrich und Michael Senf erzählen können.

Der Kern ihres Ansatzes ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. An Schulen veranstalten sie Workshops und Kurse zu verschiedenen Themen, vom Fotografieren über Artistik bis zu gesunder Ernährung. Hier können sich die Jugendlichen ausprobieren und so ihre Stärken entdecken: Ein Dreizehn-jähriger, der an seiner Schule gemobbt wurde, verwandelte sich durch einen Rap-Kurs der „Hero Society“ in eine Respektsperson auf dem Schulhof, die Refrains seiner Songs konnten die Mitschüler am Ende auswendig.

Inspiriert von Musik: Marcel Heinrich

„Solche Talente zu verschwenden, können wir uns als Gesellschaft nicht leisten“...

...sagt Marcell Heinrich. „Junge Menschen sollen machen, wozu sie begabt sind, aufblühen an ihrem Arbeitsplatz oder geile Firmen gründen, statt zum Problemfall zu werden.“ Wie wichtig es dabei ist, ein Vorbild zu haben, das einen in seiner Leidenschaft bestärkt, hat der 36-Jährige selbst erlebt. Er wuchs im Leipziger Osten der Nachwendezeit auf, damals ein rauhes Pflaster. Heinrichs Herz schlug für die Rap-Musik. Ein älterer Bekannter ermutigte ihn, sich selbst daran zu versuchen. „Wenn die anderen krumme Dinger planten, blieb ich lieber zu Hause und feilte an meinen Texten. Das hat mich in der Jugend vor so einigen falschen Entscheidungen bewahrt.“

Bei seinem Mitgründer Michael Senf war es Breakdance, was ihm half, seinen Weg im Leben zu finden. Zehn Jahre lang hatte er Ringen als Leistungssport betrieben, jeden Tag diszipliniert trainiert, mit vielen Medaillen bei deutschen Meisterschaften, aber wenig Freiraum. Mit 17 Jahren dann beobachtete er zufällig Breakdance-Tänzer beim Training. Er war sofort fasziniert. „Es war so frei, so kreativ, ohne die Vorgaben eines Trainers“, sagt der 39-Jährige. „Man konnte sich selbstbestimmt ausdrücken.“ Er gab das Ringen auf, stürzte sich in seine neue Leidenschaft, schaffte es mit seiner Crew bis ins Finale der ostdeutschen Breakdance-Meisterschaft. Nebenher fing er an, Jugendlichen das Tanzen beizubringen, weil er sein Können weitergeben wollte.

Mehr als nur Geld verdienen

Auch Marcell Heinrich hatte nach seiner Schulzeit begonnen, mit Kindern zu arbeiten, zeichnete unter anderem in Workshops Comics mit ihnen. Beide finanzierten damit ihr Studium, doch ihr Antrieb ging über das Geldverdienen hinaus. „Es ist ein Wahnsinnsgefühl, zu erleben, wie Jugendliche über sich hinauswachsen“, sagt Marcell Heinrich. „Das hat mir so viel gegeben, das wollte ich machen.“

Über einen Bekannten lernten sich die beiden kennen und merkten: Wir ergänzen uns gut. Sie taten sich zusammen und druckten 2006 die ersten Broschüren mit einem Workshop-Angebot für Schulen. Heinrich hatte als Schulsozialarbeiter schon einige Kontakte, schnell wurden sie unter Lehrern weiterempfohlen. Heute besucht ihr Team rund 140 Schulen und Bildungseinrichtungen pro Jahr und erreicht so jährlich mehr als 5000 Kinder und Jugendliche.

Über die kreative Arbeit haben sie einen besonderen Zugang.

Die Schüler öffnen sich schneller, finden Wege, sich auszudrücken und gehört zu werden. Das stärkt das Selbstvertrauen. Gleichzeitig probieren sie sich aus, testen Talente. Das muss nicht immer nur Tanz oder Gesang sein. Manch einer merkt, dass es ihm Spaß macht, die Gruppe zu organisieren, oder dass es ihm leichtfällt, bei Konflikten zu vermitteln – wichtige Kompetenzen für das Berufsleben.

Potentialentfaltung heißt das Konzept, nach dem Heinrich und Senf arbeiten. Dass ihr Ansatz einen Namen hat, lernten sie 2012 bei einem Vortrag des renommierten Hirnforschers Gerald Hüther, mit dem sie bis heute zusammenarbeiten. „Das war ein entscheidender Moment für uns“, sagt Michael Senf. Ihnen wird klar: Sie wollen sich ganz ihrem Ziel widmen. 2013 gewinnen sie schließlich den „Act for Impact“-Förderpreis für Sozialunternehmer, der höchstdotierte Preis im Bereich Bildung und Integration in Deutschland. Das ist eine Art Ritterschlag. Heute hat die „Hero Society“ sechs feste Mitarbeiter und ein großes Netzwerk an Dozenten und Partnern aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Lebenslagen.

Von Schulen zu Ausbildern

Die beiden Gründer stehen heute nicht mehr selbst vor Schulklassen. Sie beschäftigen sich damit, wie sie ihr Unternehmen weiterentwickeln können. In ihrem Büro haben sie eine ganze Wand voller Konzepte. Längst liegt ihr Fokus nicht mehr nur auf Schülern, sie unterstützen in Coachings auch Erwachsene dabei, ihre Talente beruflich zu verwirklichen.

Vor allem aber helfen sie auch Unternehmen, Talente zu finden und zu halten: Sie geben Seminare für Ausbilder und organisieren Projekte, in denen die Firmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können. Gemeinsam mit der Stadtentwässerung Dresden haben sie zum Beispiel ein Konzept erarbeitet, wie das Unternehmen Azubis begeistern kann. Die ersten YouTube-Videos sind gedreht, demnächst soll es einen gemeinsamen Workshop an Schulen geben. „Wir wollen Brücken bauen zwischen den Kids und den Unternehmen“, sagt Senf. „Die Schüler finden heraus, welche Arbeit ihnen Spaß macht, und die Firmen lernen, was die jungen Menschen heute wollen.“

Es geht ihnen um einen Dialog zwischen den Generationen. „Nur zusammen können wir die großen Probleme unserer Zeit lösen“, sagt Senf. Sie haben daher den nächsten Schritt schon geplant: die Expansion. Sie waren in Leipzig gestartet, weil es ihre Heimat ist, aber auch weil sie sich hier als junges Unternehmen Büroräume in der Innenstadt leisten konnten und dank der vielen Hochschulen einen großen Pool an Dozenten vor der Haustür hatten. Mittlerweile sind sie in Schulen in ganz Sachsen und Sachsen-Anhalt unterwegs. Ihr Ziel ist es, deutschlandweit aktiv zu sein. „Wir wollen noch viel mehr junge Menschen erreichen“, sagt Heinrich. Das heißt: noch viel mehr Potentiale entfalten.

Persönliche Schätze

Wichtige Dinge, die Michael Senf und Marcell Heinrich in ihrem Leben begleitet haben.

Fotos: Franz Grünewald

© www.franzgruenewald.de

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