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Rad mal

Von Stahlrössern und Freiheitsmaschinen

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Wie das Fahrrad sich anschickte, die Welt zu erobern und vorher noch Station in Sachsen machte.

Ob der Forstbeamte Karl Friedrich von Drais ahnte, dass er gerade im Begriff war, eine der bahnbrechendsten Erfindungen seiner Zeit zu machen - damals, im Jahr 1817? Wohl kaum. Vielmehr genoss er die neugierigen Blicke seiner Nachbarn, als er stolz die später nach ihm benannte „Draisine“ durch seinen Vorgarten zur Straße schob. Die Jungfernfahrt auf der ersten lenkbaren Laufmaschine der Welt sollte gelingen, der Grundstein für die Mobilität auf zwei Rädern war gelegt.

Gut 200 Jahre später, mitten in Sachsen. Es surrt leise in der Werkstatt des Dresdner Start-ups Binova. In der Fahrradmanufaktur Steffen Söhners wird, wie in vielen anderen Werkstätten im Freistaat, auch heute noch an der Mobilität von morgen getüftelt. Ein Cargo-Bike mit Elektroantrieb und komplettem Holzrahmen, noch dazu in Serie gefertigt, ist es im Falle Binovas. Eine absolute Weltneuheit, die auf der diesjährigen Eurobike in Frankfurt, der internationalen Leitmesse der Fahrradbranche, erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden wird. Weiter westlich, in Chemnitz, haben die Leichtfaserexperten der Chemnitzer Speichen- und Laufradmanufaktur PI ROPE eine innovative Kunstfaserspeiche entwickelt, die ihre Artgenossen aus Stahl, Aluminium und Carbon in Sachen Gewicht und Stabilität in den Schatten stellt. Und: Mit neuartigen Fahrradschlössern aus Textil revolutionierte das Leipziger Team von tex-lock um Gründerin Alexandra Baum bereits 2018 die Branche. All dies im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips, im Übrigen ebenfalls ein sächsisches Momentum, dessen Schöpfer Hans Carl von Carlowitz 1645 in Oberrabenstein bei Chemnitz das Licht der Welt erblickte. Und all dies Zeugnis dafür, wie aus Sachsen heraus die Fahrradwelt heute noch mitgestaltet wird.

Sächsische Fahrradwirtschaft auf der Überholspur

Sachsen ist Fahrradland. Seit über 120 Jahren gilt Sachsen als einer der wichtigen Standorte für die deutsche Fahrradwirtschaft – gestützt auf Traditionen und Innovationen, Ingenieurskunst und handwerkliche Präzision. Mit den DIAMANT Fahrradwerken als Deutschlands ältestem Fahrradhersteller und Bike24, der führenden E-Commerce-Fahrradplattform in Kontinentaleuropa, haben zwei Leuchttürme der Branche ihren Sitz im Freistaat. Zahlreiche Unternehmen, Start-ups und Manufakturen produzieren hier und erforschen neue Werkstoffe – sie begreifen das Zweirad nicht nur als schnöden Alltagsbegleiter oder Statussymbol, sondern als Inbegriff der persönlichen Lebenseinstellung, Ausdruck nachhaltigen Lebens, vor allem aber: Freiheit und Lebensfreude.

Wie alles begann? Mit „DIAMANT“ und „Wanderer“ entstanden Ende des 19. Jahrhunderts in Chemnitz die ersten Wachstumskerne für die industrielle Fahrradproduktion in Deutschland. Seither brachten die Mechaniker, Ingenieure und Tüftler aus Sachsen Erfindungen hervor, die die gesamte Zweirad-Branche international stark beeinflusst haben: die kerzenbetriebene Fahrradlampe, die Doppelrollenkette und viele andere Neuerungen.

Insbesondere die Fahrradmarke DIAMANT ist untrennbar mit der sächsischen Seele verbunden. Ein Leben lang sollten sie halten, die Fahrräder der Marke. Tatsächlich werden sie oft von Generation zu Generation weitergegeben. Wer aufmerksam durch Dörfer und Städte spaziert, entdeckt sie am Straßenrand, auf Hinterhöfen und in den Fahrradständern vor Universitäten und Unternehmen: wunderschöne, oft geschwungene Lieblingsräder. Und dabei ist die Geschichte des Unternehmens eine von Höhen und Tiefen, vom Fallen und Wiederaufstehen. Doch davon ahnte Friedrich Nevoigt nichts, als er 1885 – zerknirscht, da er gerade seinen Job in einer Strumpfmaschinenfabrik verloren hatte – im sächsischen Reichenbrand seine eigene Strickmaschinenfabrik gründete. Es war die Zeit, in der das Fahrrad immer stärker in Mode kam. Der junge Tüftler ist begeistert und fasziniert. Abseits des Alltagsgeschäfts fängt er an zu experimentieren – und merkt schnell: Stahl eignet sich perfekt, um stabile Fahrradrahmen zu bauen. Gemeinsam mit seinem großen Bruder wird Friedrich Nevoigt so zu einem der ersten Fahrradproduzenten in Deutschland. Heute laufen in Hartmannsdorf im Schnitt 200.000 Fahrräder pro Jahr vom Band, das Unternehmen gehört seit fast 20 Jahren zum US-Fahrradhersteller Trek.

Sachsen – starker Akteur der internationalen Fahrradwirtschaft

Schätzungsweise 10.000 Menschen sind heute nach Angaben der Wirtschaftsförderung Sachsen in über 300 Unternehmen direkt in der Fahrradbranche beschäftigt. Sie generieren rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Neben DIAMANT aus Hartmannsdorf, dem in Ostsachsen gegründeten Fahrradhändler Little John Bikes oder dem Antriebstechnikhersteller Pendix aus Zwickau ergänzen zunehmend innovative Geschäftsideen das Portfolio. So ist beispielsweise die nextbike GmbH, die seit 2004 smarte Fahrradverleihsysteme entwickelt, mittlerweile europäischer Bike-Sharing-Marktführer. In den vergangenen drei Dekaden haben sich zudem zahlreiche weitere innovative Manufakturen angesiedelt, die auf Kleinserien und Unikate individueller und besonders hochwertiger Gravelbikes, Rennräder und Mountainbikes spezialisiert sind. 

Besondere Stärken hat die hiesige Fahrradwirtschaft vor allem im Leichtbau und im Einsatz neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Materialauswahl und Konstruktion. Sächsische Entwicklungen im Bereich des Retrofittings von Elektroantrieben, der Motorsteuerung, des Batteriemanagements sowie des Akku-Recyclings leisten mittlerweile einen wichtigen Beitrag bei der Marktentwicklung. Innovationen im Leichtbau sowie der Einsatz von neuartigen Materialien haben außerdem zur Entstehung vieler neuer Unternehmen und Ausgründungen aus der Wissenschaft im Hochpreissegment geführt, die mit ihren Produkten und Technologien marktführend sind. Die Dresdener Manufaktur Beast Components beispielsweise mit ihren Komponenten aus Carbon, oder Dlouhy Cycles aus Leipzig mit buntlackierten maßgeschneiderten Fahrradrahmen aus Stahl. Oder auch die Dresdener Manufaktur Veloheld des ehemaligen Bahnradprofis Carsten Maiwald, der seine puristischen Drahtesel „Freiheitsmaschinen“ nennt, die ihre Besitzer eher auf Abenteuerreisen begleiten, denn durch den Stadtverkehr.

Apropos Freiheit: Die lässt sich im Übrigen auf jedem einzelnen der insgesamt 5.176 Kilometer Radwegestrecke durch den Freistaat „erfahren“. Allen voran - mit ein wenig Rückenwind von der Küste zwischen Hamburg und Dresden – natürlich auf einem der beliebtesten Radwege der Republik, dem Elberadweg. Nur einer der insgesamt 10 Radfernwege und mehr als 60 Hauptrouten, die fast immer entlang von Flüssen, um geflutete Tagebaue herum und Obsthaine, durch Gebirge und vorbei an Städten führen. Aber davon erzählen wir Ihnen in der nächsten Ausgabe.