Der leise Visionär
Altbauten, leerstehend, halb verfallen? Die kann man als Last betrachten. Aber auch als einen perfekten Ort für Experimente und Neustarts. So wie Lars Fassmann, der im Chemnitzer Altbauquartier Sonnenberg eine Handvoll Häuser kaufte und minimal renovierte, um sie anschließend jungen Menschen, Initiativen und Unternehmen für wenig Geld zur Verfügung zu stellen. „Die Stadt gehört uns“, tönten früher politisch Aktive. In Chemnitz ist zu bestaunen, was passiert, wenn der flotte Slogan wahr wird.
Fast vergessen
Der Visionär und seine Partnerin
Platz für Kreativität
Biete Grundausstattung, suche nette Mieter
Co-Working Spaces, Clubs und Grillen im Innenhof
Eine langfristige Wette statt eines Plans
Auf dem Sonnenberg interessiert ihn, bislang jedenfalls, vor allem die „gesellschaftliche Rendite“, die sich nicht unmittelbar auf seinem Bankkonto niederschlägt. Die Stadt ein Stück nach vorn zu bringen, damit sie nicht als „Aschenputtel des Ostens“ dasteht, wie der Spiegel einst titelte. „Wenn hier wieder Leben einzieht, indem wir einer Szene ein Zuhause geben, gewinnt doch die gesamte Stadt an Attraktivität“, findet er. Er weiß aber auch: „Wir werden nicht im Alleingang ein Szeneviertel entwickeln. Wir können bloß Rahmenbedingungen schaffen.“ Das versucht er auch auf einer anderen Bühne – als stellvertretender Vorsitzender der Piraten/Volkssolidarität-Fraktion im Stadtrat. Sein Schwerpunkt: „Förderung von Soziokultur und Räumen für Experimente sowie deren Schutz.“
Es ist eine Wette auf die Zukunft des Sonnenbergs, auf die Zukunft der Stadt. Ob die Künstler und Kreativen, die er ins Viertel gelotst hat, genügend Strahlkraft entwickeln und andere nachziehen. Etwa Studenten. Schließlich sind in Deutschland wohl nirgends WG-Wohnungen so billig wie hier. Oder mutige Gastronomen. Fünf, sechs Restaurants könne der Sonnenberg, bisher kulinarische Diaspora, locker verkraften, meint Fassmann. Dann hätten die Chemnitzer abends einen Grund mehr herzukommen.
Wie lange das alles dauert? „Keine Ahnung. Es vergeht schon Zeit, bis sich die Mieterstruktur in einem einzigen Gebäude zurechtgerüttelt hat“, weiß Fassmann. „Bis Inhalte erzeugt werden und die Leute nicht einfach nur wohnen, Sachen lagern oder ab und zu vorbeikommen, um ein paar Stunden zu malen.“
Argwohn, Zweifel und Kritik
Vielleicht sind manche Chemnitzer auch nur pikiert, weil Lars Fassmann in der Presse fast schon als Messias gefeiert wird, während von so vielen anderen, die auch nicht einfach zusehen wollten, wie ihr Stadtteil verfiel, selten die Rede ist. Das immerhin wäre verständlich, denn ohne die ehrenamtliche Arbeit der rührigen Leute vom Verein StadtHalten beispielsweise hätte Fassmann einige seiner heutigen Besitztümer wohl nicht erwerben können. Die StadtHalten-Aktivisten haben dafür gesorgt, dass ungezählte Wände und Decken mit Trägern abgestützt wurden – ihre Hauskümmerer sehen in leer stehenden Gebäuden regelmäßig nach dem Rechten. Vor allem haben sie ein Auge auf Metalldiebe, die nachts auf Raubzug gehen und Armaturen, Rohrleitungen und Heizkörper aus den Wohnungen reißen. „Nichts gegen die Aktivitäten von Herrn Fassmann“, sagt Renate Albrecht, Vorstandsfrau von StadtHalten, „aber er ist ein bisschen auf den Zug aufgesprungen.“ Und Kooperation sei auch nicht seine Stärke. „Der macht sein Ding.“
Lars Fassmann ist nicht allein
Wirtschaftlich hat sich die Stadt vom Nach-Wendeschock erholt. Die Arbeitslosenquote ist von ehemals fast 20 Prozent Ende der Neunzigerjahre stark gesunken – auf zuletzt 8,2 Prozent. Zudem verzeichnet die Stadt seit 2011 einen leichten Bevölkerungszuwachs. Und nicht zuletzt ist die Förderung umgestellt worden: Inzwischen gibt es für den Abriss keine Zuschüsse mehr, die Subventionen kommen nun Sanierungen zugute. Der Sonnenberg ist attraktiv geworden.
Doch Sandro Schmalfuß kann den vielen Interessenten kaum noch etwas anbieten. Wer beizeiten investiert hat, profitiert jetzt von steigenden Preisen. Vor vier Jahren ging ein Haus mit passabler Bausubstanz im Schnitt für 7500 Euro weg, jetzt wird das Zehnfache geboten. Die Zietenstraße 3, leer stehend, mit Ofenheizungen sowie Vandalismus- und Feuchtigkeitsschäden, im vorigen Jahr auf einer Auktion auf 19 000 Euro taxiert, wurde für rund 40 000 Euro verkauft und wird jetzt für 90 000 Euro angeboten. Mittlerweile ist der Boom nicht mehr zu übersehen. Maklerinnen laufen fotografierend durchs Quartier. An vielen Hauswänden ragen Gerüste empor. Bauarbeiter wuseln herum, schleppen Säcke mit Putz, Raufaserrollen, Laminatpakete, Toilettenschüsseln, Rohre, Duschtassen und Armaturen in die Häuser.
Wird es Mieter für alle diese Wohnungen geben?
„Es ist der Gegenpol zu dem, was Fassmann am unteren Ende der Straße mit seiner Minimalsanierung gemacht hat“, sagt Liebert über seine Vorgehensweise. Aber der habe überhaupt erst dafür gesorgt, dass wieder Leben ins Viertel einziehe und ein intellektuelles Publikum komme. Solche Leute habe man doch vorher auf dem Sonnenberg gar nicht gesehen. Und natürlich lohne sich das auch für ihn. „Unsere Wohnungen hier oben können noch so schön sein“, sagt er, „aber wenn Sie die Zietenstraße hochkommen und da ist alles nur düster und verfallen und gruselig, dann ziehen Sie hier nicht hin.“
In den Chor jener, die an Fassmann herumnörgeln, will Heiko Liebert keinesfalls einstimmen. Ganz im Gegenteil. „Endlich mal einer, der eine Idee hat, der voranprescht und ins Risiko geht“, sagt Liebert und bricht eine Lanze für den stillen Visionär aus dem Lokomov. Für die Bedenkenträger hat er nur ein Lächeln übrig. Für ihn ist Lars Fassmann so etwas wie ein Billardspieler, der mit einem beherzten Eröffnungsstoß sämtliche Kugeln in Bewegung gesetzt hat. „So ist es hier auch: Keiner weiß, wo sie mal hinrollen. Total spannend.“
Quelle:
brand eins Wissen / Sachsen machen! - Was heißt hier: "Geht nicht!"?
Text: Andreas Molitor , Foto: Michael Hudler
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