Bei der Erforschung von Zukunftstechnologien ist Sachsen ganz vorn dabei. Erst kürzlich schlossen sich die drei Technischen Universitäten – TU Chemnitz, TU Dresden und die TU Bergakademie Freiberg – zur „Sächsischen Wasserstoffunion“ zusammen. Erklärtes Ziel: bei Forschung und Lehre entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette enger zusammenzuarbeiten. Eine der treibenden Kräfte hinter der Idee ist Klimaforscher Prof. Dr. Jörg Matschullat, Prorektor für Forschung und Transfer der TU Freiberg. Wie er die Zukunft mitgestalten will, warum er dabei auf Wasserstoff setzt, und warum er in Sachsen beste Bedingungen für seine Forschung vorfindet, darüber haben wir mit ihm gesprochen.
Herr Matschullat, es gibt kaum jemanden, den die Frage nach einer klimaneutralen, bezahlbaren Energieversorgung zurzeit nicht umtreibt. In das Potenzial der Wasserstofftechnologie wird dabei große Hoffnung gesetzt. Woran genau forschen Sie und Ihr Team?
Wir arbeiten an Fragen zum Klimawandel und seinen Konsequenzen und forschen zu Möglichkeiten nachhaltiger Landnutzung. Es geht zum Beispiel darum, wie wir Extreme im Klimawandel erkennen – Trockenheiten und Starkniederschläge beispielweise, wie sie auch in Sachsen in den letzten Jahren immer wieder stattgefunden haben - und wie diese mit der nötigen Vorwarnzeit vorhersagen können. Zudem beschäftigt uns die Frage, welche Art von Landnutzungsmanagement am ehesten in der Lage ist, Kohlenstoff in Böden zu speichern, um damit dem Klimawandel entgegen zu wirken.
Gerade sind Sie aus dem Amazonasgebiet zurückgekehrt, haben dort in einem Langzeitprojekt die Auswirkungen von Wasserstandsschwankungen auf den Gasaustausch untersucht. Mit welchem Ziel?
Neben Böden aller Art dienen auch Seen und Flüsse als Speicher und Quellen für Treibhausgase. Grundsätzlich gilt, dass Wasser mit steigenden Temperaturen weniger Gas aufnehmen kann. Tropische Gewässer wie in Amazonien eignen sich perfekt um herauszufinden, wie große Hitze sich auf das Verhalten von Seen und Flüssen auswirkt. Daraus lernen wir für unsere Gewässer.
Seit über zwei Jahrzehnten untersuchen Sie die Folgen des Klimawandels. Herr Matschullat, sind Sie ein gefragter Mann?
Das ist eine zwiespältige Frage. Die meisten seriösen Klimawissenschaftler:innen stehen in einem gewissen Rampenlicht. Das kann positiv sein, wenn tatsächlich wissenschaftliche Kompetenz und Erfahrung im öffentlichen Dialog gesucht werden. Leider gibt es auch eine dunkle Seite: Sowohl gewisse Interessensgruppen, die den Klimawandel leugnen, als auch irregeleitete Einzelpersonen sind nicht selten aggressiv und belästigen uns immer wieder.
Was genau erhoffen Sie sich vom neuen Verbund der „Wasserstoffunion“?
Keine Universität und kein Forschungszentrum kann alles – und vor allem nicht allein. Bei kluger Kooperation sind Erfolge unter günstigen Umständen schneller zu erwarten und können gemeinsam besser umgesetzt werden. Genau das erhoffen wir uns: dass die sich gegenseitig ergänzende Kompetenz der Standorte zu einer spürbaren Stärkung Sachsens in der globalen Wasserstoffkompetenz führt.
Im Rahmen Ihrer Forschungstätigkeit kommen Sie viel in der Welt herum. Wie begegnet man Ihnen, wenn Sie erzählen, dass Sie aus Sachsen kommen?
Das ist ganz unterschiedlich. Die meisten Menschen sind freundlich und haben keine Vorurteile. Doch mir sind in den letzten Jahren auch andere sehr konkrete Fragen begegnet, zum Beispiel, ob man hier sicher ist oder, ob es nicht zu riskant ist nach Sachsen zu kommen. Dann wieder treffe ich aber auch auf Menschen, die sich schon intensiver mit Deutschland und auch Sachsen befasst haben, die nach den Folgen der Wiedervereinigung fragen und danach, warum es offensichtlich so laute Gegenstimmen gibt, die nicht die großen Vorteile dieses historischen Geschenkes erkennen.
Was schätzen Sie persönlich an den Sachsen?
Na, DIE Sachsen gibt es wohl eher kaum; dazu sind wir zu vielfältig. Dennoch: Die meisten Menschen bei uns sind offen, gastfreundlich und hilfsbereit. Natürlich haben sich Ausdrucksformen dieser guten Eigenschaften in den letzten Jahrzehnten auch den Zeitenläufen angepasst, doch das ist ganz normal. Und dazu kommt etwas, das sonst meist den Schwaben nachgesagt wird: Sachsen sind durchaus kreativ und erfindungsreich, können improvisieren und sind lösungsorientiert.
Welches Klischees regen Sie am meisten auf?
So schnell rege ich mich zum Glück nicht auf. Doch was mich ärgert, sind Stereotype. Und wenn mich drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung auch gebildete Menschen im Westen der Republik bis heute fragen, wie ich es denn „da im Osten“ aushalte, dann provoziert diese Sichtweise doch sehr.
Was schätzen Sie, welcher Herausforderung sich Sachsen perspektivisch am dringlichsten stellen muss?
Wir brauchen mehr Mut und gesundes Selbstvertrauen. Damit spreche ich durchaus auch unsere Landespolitik an, die es sich teilweise in meinen Augen zu bequem macht. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, die nicht geringer werden durch Verdrängung und die sich auch nicht wegverwalten lassen. Mehr Mut, auch zu ehrlicher Rede und unbequemen Ansagen, das wünsche ich mir.
Gibt es ein Herzensprojekt, das Sie gern voranbringen würden?
Etwas ganz Kleines: ein leistungsfähiges Fahrradwegenetz. Etwas Großes: ein selbstbewusstes Sachsen, das nicht in der Nabelschau verhaftet, sondern sich den großen Themen stellt und mutig, konstruktiv und zielstrebig darauf hinarbeitet, sie mitzugestalten.
Abschließend noch etwas Persönliches: Leben Sie gern in Sachsen?
Wenn ich mich hier nicht wohlfühlte, dann wäre ich nicht mehr hier. Freiberg und Sachsen sind mein Zuhause, das ich nicht eintauschen möchte. Als ich 1999 dauerhaft nach Sachsen zog, war es eine Herausforderung. Heute ist es Herzensangelegenheit.
Welche sind Ihre sächsischen Lieblingsorte? Was Ihr Lieblingsgericht?
Als Freiberger darf ich das ja gar nicht laut sagen, doch ich liebe Annaberg-Buchholz. Grundsätzlich bin ich dankbar für die noch halbwegs naturnahen Landschaften, egal ob im Gebirge, im Flachland oder an Flussläufen. Ich erfreue mich an den vielen schmucken Ortschaften und Städtchen und bin traurig, wenn die Menschen dort so negativ und hoffnungslos argumentieren. Und ich bin begeistert von Leipzig, Chemnitz und Dresden, die - so verschieden in ihrem Charakter - doch alle lebenswert und besonders sind.
Ein Lieblingsgericht habe ich tatsächlich nicht, obgleich ich sehr gern gut esse. Doch ich freue mich sehr, wie sich die Essenskultur bei uns in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat, sodass selbst ein Vegetarier kulinarisch glücklich sein kann in Sachsen.
Herr Matschullat, vielen Dank für das Gespräch!