Der Daniel Düsentrieb der virtuellen Welt
Durch virtuelle Welten zu reisen gehört heutzutage beinahe zum Alltag. Selten war es so einfach, das antike Rom, die Tiefen des Mariannengrabens oder die Spitze des Kilimandscharo zu besuchen. Von der heimischen Couch aus. Augmented Reality, moderne Sensorhandschuhe und superschnelle Netzwerke machen’s möglich. Und dank Dr. Denys Makarov vom Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) wird das virtuelle Reisen künftig noch angenehmer.
Gemeinsam mit seinem Team hat der gebürtige Ukrainer eine neuartige elektronische Magnethaut entwickelt, mit der Menschen, Avatare und Roboter besonders intuitiv in virtuellen Welten interagieren können. Nur wenig Mikrometer dick, transparent, atmungsaktiv, besonders leicht und energieeffizient fühlt sich diese elektronische Magnethaut fast wie die menschliche an und erlaubt nahezu intuitives Navigieren. Wir stellen den genialen Erfinder und jungen Familienvater vor.
Herr Dr. Makarov, nach Ihrem Master in Kyiv (Kiew) und dem Doktortitel in Konstanz führte Ihre Forschungskarriere Sie an viele Stationen. Was hat Sie schließlich 2010 nach Dresden verschlagen?
2010 wurde mir eine Stelle am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden angeboten, eine exzellente Adresse in der Materialforschung und Physik. Angesichts meines jungen Alters war das eine große Ehre für mich. Ich erhielt die Möglichkeit, bahnbrechende Forschung zum Thema Krümmungseffekte im Magnetismus zu betreiben – ein Thema, das sich mittlerweile zu einem eigenständigen Forschungs- und Technologiefeld entwickelt hat.
Mittlerweile arbeiten Sie am HZDR und erforschen den „kurvilinearen Magnetismus“? Was genau verbirgt sich dahinter?
Dieses Thema ist sehr neu. Kurz gesagt, untersuchen wir die Auswirkungen geometrischer Biegungen und Verdrehungen auf die elektromagnetischen Eigenschaften von Materialien. Es ist uns gelungen, zahlreiche überraschende Entdeckungen zu machen, von denen einige nun ganz konkret bei neuartigen Sensorlösungen für Elektromobilität, Mensch-Maschine-Schnittstellen, intelligenter Prothetik und in der Rehabilitationsmedizin zum Einsatz kommen. Dazu zählt auch die elektronische Magnethaut.
Gutes Stichwort! Wie genau funktioniert die?
Die E-Haut kann Magnetfelder „fühlen“ und damit physische Objekte oder Objekte in der virtuellen oder erweiterten Realität berührungslos steuern, indem man einfach die Hand im Raum bewegt. Wir haben großflächige E-Skins realisiert, die extrem leicht, flexibel und atmungsaktiv sind und ähnlich funktionieren wie die menschliche Haut. Bei echter Haut spielt es beispielsweise keine Rolle, wo ich sie berühre: Das Signal gelangt über die Nerven ins Gehirn, wird dort verarbeitet, und das Gehirn erkennt den Berührungspunkt. Auch bei den E-Skins nutzen wir eine einzige globale Sensorfläche. Und eine einzige zentrale Ausleseeinheit rekonstruiert das Signal – wie es unser Gehirn im Normalfall tut. Das spart Energie, was beispielsweise für Smart Wearables sehr wichtig ist.
Was fasziniert Sie besonders an diesem Thema?
Die Verbindung zwischen bahnbrechender Grundlagenforschung und den Möglichkeiten des Technologietransfers. Diese Kombination ist, ehrlich gesagt, eher ungewöhnlich. Sie eröffnet meinem Team die einzigartige Möglichkeit, Materialwissenschaftler, Physiker, Chemiker und Biologen mit Unterstützung von Innovationsmanagern zusammenzubringen. Mittels unserer neuartigen und unkonventionellen Magnetoelektronik können wir neue Anwendungsszenarien in der Unterhaltungselektronik und Medizin mit dem Fokus auf Energieeffizienz und ökologischer Nachhaltigkeit eröffnen. Absolut genial!
Für viele Kinder sind Forscher und Erfinder Traumberufe. Wie war das bei Ihnen? Wann hat sich dieser Berufswunsch herauskristallisiert?
In meiner Familie gibt es hauptsächlich Lehrer und Ärzte. Daher war für mich schon von Kindheit an klar, dass ich entweder Forscher oder Chirurg werden würde. Mit 14 Jahren wurde ich am Physik- und Mathematik-Lizeum in Kyiv aufgenommen, der besten naturwissenschaftlich ausgerichteten Schule der Ukraine. Dies war der Wendepunkt, der meine zukünftige Karriere bestimmte.
Was macht Ihrer Meinung nach Dresden als Standort für Wissenschaft und Forschung so besonders?
Der von Sachsen in der Vergangenheit gewählte Fokus auf Hochtechnologiebranchen war strategisch stark und wird in Zukunft sicherlich noch viele Vorteile bringen. Ohne Frage ist der Schlüssel zur erfolgreichen Standortentwicklung der Pool junger Fachkräfte, die sich High-Tech-Unternehmen wie GlobalFoundries, Infineon oder Bosch anschließen und zur Entwicklung neuer mikroelektronischer Komponenten und Technologien beitragen können. Dieser Pool an hochqualifiziertem Nachwuchs wird durch das breite Spektrum der universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Dresden sichergestellt. Der Erfolg dieser Strategie hat sich im hervorragenden Ergebnis der Dresdner Forschungslandschaft in der jüngsten Runde der Exzellenzinitiative gezeigt.
Noch ein paar persönliche Fragen: Wie ist es für Sie, in Dresden zu leben und zu arbeiten?
Dresden ist eine wunderschöne Stadt mit hohem Lebensstandard, tief verwurzelten Traditionen, einer ausgeprägten Kulturszene und einer Stadtverwaltung, die mir und meiner Familie stets unterstützend zur Seite stand. Wir sind fasziniert von der Vielzahl an kulturellen Veranstaltungen, Museen, Ausstellungen und Sportangeboten, die unseren Alltag hier bereichern. Beruflich gesehen ist Dresden aufgrund der zahlreichen hochrangigen Forschungseinrichtungen sehr attraktiv und bietet mir persönlich gute Anknüpfungspunkte für die berufliche Entwicklung.
Was war Ihre bisher schönste Begegnung mit Sachsen?
Neben all den Forschungserfolgen war das Wichtigste doch die Geburt meiner Tochter, die mein Leben grundlegend verändert und meine Prioritäten neu definiert hat.
„Typisch Sächsisch“ – was bedeutet das für Sie?
Im Grunde eine synergetische Mischung aus großartigen Traditionen, hart arbeitenden Menschen und einem starken Fokus auf Innovationen und Technologie.
Zum Abschluss: Was ist Ihr sächsisches Lieblingswort?
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, welches ich nehmen soll. Es gibt einfach zu viele. Neulich ist mir „Saizchen“ begegnet, für „Sachsen“, das hatte ich zuvor noch nie gehört.
Herr Dr. Makarov, vielen Dank für das Gespräch.
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Titelbild: © Rainer Weisflog/HZDR