Die mit Ionen um die Wette strahlt
Wenn Ionenstrahlen Meißner Porzellan torpedieren, sitzt da kein Superheld am Kaffeetisch, sondern Dr. Denise Erb, ihres Zeichens Physikerin am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR). Gut, die Ionenstrahlpistole hat sie nicht im Anschlag, und doch hat das, was sie tagtäglich tut, durchschlagende Wirkung. Doch der Reihe nach.
Frau Dr. Erb, Sie forschen im Ionenstrahlzentrum des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf an „Ioneninduzierten Nanostrukturen“. Wie würden Sie jemandem, der nicht Physik studiert hat, erklären, was Sie tun?
Ioneninduzierte Nanostrukturen sind ein besonderer Fall von spontaner Musterbildung, wie sie häufig auf Oberflächen in der Natur beobachtet werden kann. Wind und Wasser lassen beispielsweise Rillen im Sand entstehen. In unserem Fall übernimmt ein Strahl von Ionen, also geladenen Teilchen, die Funktion von Wind und Wasser. Wenn die Ionen auf eine Oberfläche prallen, lockern sie an manchen Stellen mehr und an anderen Stellen weniger Material, das sich dann auf der Oberfläche verschieben oder ganz von ihr ablösen kann. Mit der Zeit entstehen dann winzige Täler und Berge. Ich untersuche im Detail, nach welchen Mechanismen sich diese Nanostrukturen bilden, welche Formen sie annehmen, und welchen Einfluss die speziellen Eigenschaften der Ionen und des Oberflächenmaterials haben.
Kurzer Praxis-Check: Wie alltagstauglich ist das, was Sie tun?
Alltagstauglich sind ioneninduzierte Nanostrukturen nicht wirklich. Um sie herzustellen und zu untersuchen, braucht es Voraussetzungen, die nur eine Einrichtung wie das Ionenstrahlzentrum bietet. Allerdings probieren meine Kollegen und ich auch Verfahren aus, wie man durch Ionenbestrahlung strukturierte Oberflächen nutzen kann, z.B. für hochempfindliche magnetische oder optische Sensorik oder als effiziente Katalysatoren für die Produktion von synthetischen Kraftstoffen. Um mal eine konkrete Zahl zu nennen: Pro Jahr werden etwa 60 Millionen Hochleistungstransistoren hergestellt, die einen notwendigen Verarbeitungsschritt am Ionenstrahlzentrum durchlaufen. Die werden dann im Stromnetz, in Windrädern und Elektroautos verbaut.
Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Materialanalyse von Artefakten. Stichwort: Meißner Porzellan. Wollen Sie der großen „Bares für Rares“-Fangemeinde mal näher erläutern, welche Geheimnisse Sie einem kostbaren Porzellanobjekt mittels Ionenstrahlung entlocken können?
Gern. Ionenstrahlen kann man nicht nur benutzen, um Atome auf einer Materialoberfläche „herumzuschubsen“. Ein Material kann als Reaktion auf das Auftreffen des Ionenstrahls zum Beispiel Röntgenstrahlung aussenden. Die Wellenlänge der Röntgenstrahlung ist dabei charakteristisch für jedes im Material enthaltene chemische Element. So kann man analysieren, welche chemischen Elemente zu welchen Anteilen im untersuchten Material enthalten sind. Diese und ähnliche ionenstrahlbasierte Messmethoden sind auf viele Untersuchungsgegenstände anwendbar, auch auf Kunstobjekte.
Wie und woran erkennt man echtes Meißner Porzellan?
Anhand der typischen Materialzusammensetzung von Porzellanmasse, Farben und Glasur kann man ein Porzellanobjekt der Meißner Manufaktur zuordnen und dadurch die Echtheit überprüfen.
Sind Sie schon einmal einer Fälschung auf die Schliche kommen? Und wer steckte dahinter?
Schlichte Fälschungen können von Kunstfachleuten schon mit dem bloßen Auge erkannt werden; die landen erst gar nicht in einem physikalischen Labor. Schwieriger wird es, wenn ein Objekt im Großen und Ganzen als typisches Meissner Porzellan erscheint, aber einzelne Teile, z.B. die Farbgebung auf einem Deckel, nicht so recht dazu zu passen scheinen. Dann kann die Ionenstrahlanalytik zeigen, ob die Materialzusammensetzung dieser Teile mit der von echtem Meissner Porzellan übereinstimmt. Falls nicht, handelt es sich in der Regel um eine Reparatur, keine Fälschung.
Sie kommen gebürtig aus Essen, haben in Bochum studiert und im Anschluss in Hamburg mit „summa cum laude“ promoviert. Dann führte Sie Ihr Weg nach Dresden. Warum?
Auf einer Tagung in Marseille habe ich von einem Wissenschaftler des HZDR zum ersten Mal von ioneninduzierten Nanostrukturen gehört und sehr viele Ähnlichkeiten, aber auch interessante Unterschiede zum Thema meiner Promotionsarbeit gesehen. Wir sind miteinander in Kontakt geblieben, und als sich nach meiner Promotion die Möglichkeit einer Anstellung in seiner Arbeitsgruppe ergab, war klar wohin mein Weg führt.
Mittlerweile arbeiten Sie seit fast zehn Jahren in Dresden. Sind Sie heimisch geworden?
Ja, ich fühle mich hier zu Hause. Dresden ist eine schöne und wirklich lebenswerte Stadt. Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich, und ich habe auch Aufgaben im Ehrenamt übernommen. So habe ich in den letzten Jahren viele interessante Menschen kennengelernt, das ist wirklich bereichernd! Und vor allem: Hier habe ich meine große Liebe gefunden. Mich verbindet also nur Gutes mit dieser Stadt!
Gibt es einen Lieblingsort, an dem man Sie antreffen kann?
Das ist sicher kein Geheimtipp, aber ich finde die Elbwiesen und Elbhänge wunderbar. Dort kann ich durchatmen und den Fluss und die vielen herrlichen Ausblicke auf die Stadt genießen. In Dresden gibt es so viele kleine und große Orte, die alle auf ihre eigene Art schön sind.
Gibt es eine Begegnung, ein Erlebnis mit Sachsen, an das Sie sich besonders gern erinnern?
Das ist gleich meine erste Begegnung mit Sachsen: Anfang Januar 2016 bin ich von Hamburg nach Dresden umgezogen. Als ich mit dem Umzugslaster ankam, war es spät am Abend, also dunkel, kalt und ziemlich ungemütlich – und meine neuen Nachbarn haben mich mit warmem Tee und Kuchen empfangen. Sowas ist mir noch nirgendwo sonst in Deutschland passiert; das hat mein Herz für Sachsen geöffnet.
„Typisch Sächsisch“ - Was bedeutet das für Sie?
Einerseits die Selbstverständlichkeit, mit der man sich gegenseitig unterstützt und aushilft. Das habe ich hier immer wieder hier erlebt und beobachtet. Andererseits die Selbstverständlichkeit, mit der man seine Meinung offen ausspricht. Das verläuft nicht immer reibungslos, ist aber wichtig, wenn man zu gegenseitigem Verständnis und einem guten Zusammenleben kommen will.
Die Sachsen werden ja oft für ihren Dialekt belächelt. Haben Sie ein sächsisches Lieblingswort?
Das Dresdner „Nu!“. Das habe ich mir recht schnell angewöhnt. Da ich aufgewachsen bin, ohne einen echten Dialekt zu lernen, finde ich eigentlich alle deutschen Dialekte ähnlich kurios, aber auch charmant.