Vom Berg geht alles aus!
Von luftigen Berggipfeln zu tiefen Gesteinen in stickigen Schächten; von schwerer Arbeit unter Tage zur filigranen Handwerkstradition oberirdischer Gemeinschaften. Der bergmännische Arbeitsalltag formte die Lebenswelt der Menschen, die am, unter und mit dem Berg lebten. Dabei waren staubige Gesichter, Förderanlagen und Erzgewinnung nur die eine Seite des Bergbaus, die davon ausgehende Bergbaukultur und Volkskunst die andere. Diese künstlerische Seite der bergstädtischen Vergangenheit wird im Museum für bergmännische Volkskunst in Schneeberg erlebbar. In der hier zur Schau gestellten Fülle bergmännischer Volkskunst manifestiert sich zugleich noch etwas viel Wichtigeres: ein historisch gewachsenes, tief in der Region verwurzeltes Lebens- und Heimatgefühl.
„Die Gründung und industrielle Entwicklung Schneebergs geht auf den Silber- und Kobaltbergbau im 15. Jahrhundert zurück, der die Stadtgeschichte maßgeblich geprägt hat“, berichtet Museumsleiterin Regina Krippner. Geschnitzte und mechanisch installierte Abbilder der bergmännischen Lebenswelt, hochwertig geklöppelte Tischwäsche und Kleidung – all dies nahm seinen Ausgang im Bergbau, mit all seinen ökonomischen Schwankungen. „Denn vor allem in Zeiten, in denen der Bergbau zurückging, gewannen zusätzliche Einkünfte, beispielsweise die Schnitzerei, an Bedeutung“, so Krippner weiter.
Die Ausstellung zur bergmännischen Volkskunst befindet sich im Bortenreuther-Haus, ein eindrucksvolles, barockes Bürgerhaus mit der barocktypischen, kunstvoll-verspielten Fassadengestaltung, das sich der wohlhabende Spitzenhändler Johann Friedrich Bortenreuther 1724/1725 als großes Wohn- und Geschäftshaus erbauen ließ. Was die feine weiße Spitze mit der Staub aufwirbelnden Arbeit der Bergleute zu tun hat, dazu gleich mehr.
Schon mal was von „Weihnachtsbergen“ gehört?
Das Herzstück der Ausstellung bilden die sechs Schachtmodelle sowie die 13 Weihnachts- und Heimatberge. Das größte mit 27 m² ist dabei das Modell des Schneeberger Weihnachtsberges. Im Miniaturenformat beschreibt jedes Modell einen Ausschnitt alltäglicher bergmännischer Tätigkeit und der dadurch geprägten oberirdischen Lebens- und Kulturwelt.
25 Jahre Bauzeit, 400 geschnitzte Figuren, 14 Tanzpaare, eine Blaskapelle und bewegte Karussells, die von einer raffinierten Mechanik angetrieben werden: Das Modell „Dorfkirmes“, das in der Ausstellung zur Rubrik „Heimatberg“ zählt, beeindruckt allein schon quantitativ. Seine fast schon quirlige Vielfalt gönnt den Besucheraugen keine Pause. Aus der Vogelperspektive schweift der Blick über das Kirmesgewimmel, man taucht ein in eine Atmosphäre aus Drehorgelmusik, Fahrgeschäften und Bratwurstgeruch. „Und im Wohnwagen sitzt gemütlich der Zeitung lesende Erich Parthey, der Erbauer des Modells“, verrät Regina Krippner schmunzelnd. Als Vorlage für sein Modell diente dem Volkskünstler Parthey die jährliche Dorfkirmes seines Heimatortes Einsiedel in der Zeit von 1935-1960.
Und was war unter Tage los?
Das erfährt der Besucher in den sechs riesigen Schachtmodellen. Eines davon ist die mechanische Schachtanlage „Weißer Hirsch“ aus dem Jahre 1898. Regina Krippner beschreibt es als technisches Wunderwerk: „Ein Zeugnis der Geschichte und des handwerklichen Könnens erzgebirgischer Bergbaukultur.“ Im Querschnitt des Berges eröffnet sich ein Labyrinth aus Gängen und Schächten, das sich unmittelbar unter der oberirdischen erzgebirgischen Dorfidylle befindet.
Die Museumsleiterin weist auf ein kleines Fenster hin: „Dieses Fenster gewährt einen faszinierenden Einblick in die ausgeklügelte Technik, die mehr als 120 Jahre alt ist.“ Überall im Modell ist Bewegung: rasselnde Förderanlagen, Leitern erklimmende oder den Stein bearbeitende Bergleute. Und im Schatten des Berges zeigen sich dem wachsamen Auge zu gegebener Stunde die Berggeister, die in den tiefen Schächten hausen.
Pyramiden, Lichterglanz und Glaube
Das Licht, der Bergmann und der Glaube. Es sind diese Themen, die immer wieder motivgebend sind und in der Volkskunst ihren Ausdruck finden. So gibt es in der Ausstellung kunstvolle Hängeleuchter aus Holz oder Metall, biblische Szenen im Holz verewigt sowie filigrane Schnitzwerke wie den 150 Figuren umfassenden Schneeberger Bergaufzug. Selbstverständlich kommen auch die Pyramidenliebhaber im Schneeberger Museum auf ihre Kosten. Elf dieser sich drehenden Wahrzeichen, die so tief in der erzgebirgischen Tradition verwurzelt sind, kann man in der Ausstellung zu bewundern.
Mit dem Niedergang des Bergbaus begann der Aufschwung der Spitze
Und wie war das nun mit der Spitze? Das Spitzenklöppeln galt als die Kunst der Bergmannsfrau und wurde zu einem wichtigen Nebenverdienst der Bergarbeiterfamilien als die Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten im Bergbau schwanden. Die geklöppelte Spitze ist quasi ein filigranes Zeichen des strukturellen Wandels regionaler Industrie. Im Laufe der Zeit professionalisierte sich diese Volkskunst. Spitze wurde zur Handelsware, erste Lehreinrichtungen entstanden. So öffnete 1878 die erste Königlich-sächsische Spitzenklöppel-Musterschule in Schneeberg. Zahlreiche geklöppelte Spitzenkunstwerke –Tischwäsche, Kleidungsstücke und Accessoires – sind in der Schneeberger Ausstellung stilvoll in Szene gesetzt. In den edelsten Stücken wurden, neben dem herkömmlichen Leinen, feine Gold- und Silberfäden hinein geklöppelt. Und so ruft, was einst mühsam aus dem Stein geschlagen, einen kostbaren, zarten Glanz im feinsten Gewebe hervor.
In der Schneeberger Ausstellung geht die Arbeit im und am Berg über in die Kunst vom und mit dem Berg. So auch in der kommenden Weihnachts- und Sonderausstellung „ExponaRt – Augenblicke in Holz“, die vom 30.11.2024 bis 23.02.2025 im Museum zu sehen sein wird. Das Museum für bergmännische Volkskunst in Schneeberg belebt die Bergbaugeschichte, das Heimatgefühl und die damit verbundene große Handwerkstradition im Erzgebirge. Glück auf!
Fotos: Xaver Grimplini