Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Wir haben zwei Verkehrsentwickler zu einer Fahrt mit der alten Dresdner Schwebebahn eingeladen, um ihre Utopien für das 21. Jahrhundert vorzustellen.
Frau Fitzthum, Herr Claus, ich begrüße Sie zu unserer Fahrt mit der Dresdner Bergschwebebahn. Die von dem Erfinder Eugen Langen entwickelte Bahn ist im Jahr 1901 an einem Elbhang im Osten Dresdens in Betrieb gegangen. Jenseits von Sachsen aber hat sie sich nie durchgesetzt. Wir sind somit zu Gast in einer untergegangenen Verkehrsutopie. Sie hingegen haben die Mobilität von morgen im Blick. Können Sie sich sicher sein, dass Ihren Projekten mehr Erfolg beschieden sein wird als einst den Ideen Langens?
SÖREN CLAUS: Bei Visionen gibt es keine Gewissheiten. Es geht im Wesentlichen um zwei Dinge: zum einen um das technisch Mögliche, zum anderen um das finanziell Machbare. Das sieht man auch hier bei der Schwebebahn: Die technischen Herausforderungen hat Langen, der ja auch Entwickler der Schwebebahn in Wuppertal gewesen ist, mit Bravour gemeistert. Aber es hat Parallelentwicklungen gegeben, die sich besser am Markt behaupten konnten. Dennoch hat man gerade in Sachsen viel Erfahrung mit Visionen zur Mobilität. Es gibt hier eine gute Infrastruktur für Forschung und Entwicklung. Das mag auch daran liegen, dass man uns Sachsen einen Hang zur Tüftelei nachsagt.
Was Sie beschreiben, ist ja ein generelles Problem unserer digitalen Gegenwart: Man verlangt von Produkten und Dienstleistungen, dass sie granular werden – das heißt, es gibt ein Bedürfnis nach Passgenauigkeit. Die Dresdner Schwebebahn hier ist noch ein Beispiel für das alte, das vordigitale Denken: Hier laufen zwei Kabinen auf einem statischen Stahlträger. Alles ist somit festgelegt. Abweichung, Individualisierung oder Sonderwünsche sind nicht vorgesehen. Der Soziologe Max Weber prägte dafür einst den Begriff des „stahlharten Gehäuses“ des Industriezeitalters.
SC: Ja, das Industriezeitalter 2.0 hatte noch sehr harte Rahmenbedingungen.
Heute indes scheint alles weicher, aber auch diffuser geworden zu sein. Sie zum Beispiel, Frau Fitzthum, arbeiten an der TU Dresden an einem Projekt namens ABSOLUT. Dabei geht es um automatisiert fahrende Bus-Shuttles in Leipzig. Diese sollen, wenn sie fertig sind, auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer reagieren können.
LF: Wir planen ein hoch automatisiertes System, das auf einer Strecke von sieben Kilometern zwischen einem S-Bahnhof und dem Leipziger BMW-Werk verkehren wird. Die gut 13 000 Mitarbeiter dort arbeiten im Schichtdienst. Das heißt, die jetzigen Busse sind zu den Stoßzeiten überfüllt, sonst aber gähnend leer. Der ÖPNV in seiner jetzigen Form ist auf solche Veränderungen nicht ausgelegt; das ist wirtschaftlich nicht tragbar. Also überlegen wir, ob sich nicht ein Konzept mit automatisierten und fahrerlosen Bus-Shuttles entwickeln lässt. Geht alles gut, werden wir 2021 den Probebetrieb starten.
Wie wollen Sie denn die Bedürfnisse der Fahrgäste erfassen?
LF: Der Bus soll im Linienbetrieb fahren, aber zusätzlich auch on demand zur Verfügung stehen – das heißt, man kann den Bus über eine App buchen.
Sie, Herr Claus, arbeiten bei einem anderen sächsischen Verkehrsprojekt, dem sogenannten Smart Rail Connectivity Campus in Chemnitz. Dabei handelt es sich um eine Art Thinktank, in dem man über die Probleme des zukünftigen Schienenverkehrs nachdenkt. Es geht also auch bei Ihnen um den ÖPNV. Ist das, was Frau Fitzthum da beschrieben hat, auch ein Problem für Eisenbahner?
SC: Wir forschen bei uns immer wieder zu Fragen der Mobilität im ländlichen Raum. Da stehen Sie vor ähnlichen Herausforderungen. Auf dem Land ist der ÖPNV oft sehr ausgedünnt. Gerade am Wochenende kommen Menschen kaum noch vom Fleck. Deshalb beschäftigen auch wir uns mit On-demand- Systemen für die Schiene. Es gibt aber auch vergleichbare Probleme in großen Ballungsräumen: Denken Sie etwa an den Trubel nach Großveranstaltungen: Die Bahnsteige füllen sich, und der Normalbetrieb reicht nicht mehr aus. Wäre es da nicht schön, wenn man dank Künstlicher Intelligenz in der Lage wäre, das wachsende Bedürfnis der Kunden früh zu erkennen und zusätzliche Züge automatisch einzusteuern?
Und dennoch kennt auch die Bahn noch immer keine führerlosen Züge.
SC: Das hat juristische und technische Gründe. Es gibt derzeit noch kein System, das derart fehlerfrei arbeitet, dass man es allein lassen könnte. Es gibt Situationen, die uns vor Herausforderungen stellen: Bahnübergänge zum Beispiel.
LF: Da gibt es in der Tat Probleme: Wie bringen Sie der Technik bei, ob ein Objekt auf einer Fahrbahn eine Plastiktüte oder eine Katze ist? Und wie erklären Sie dem Algorithmus, wie sich Objekte im Notfall verhalten? Da ist vieles ungelöst.
Wie groß ist am Ende überhaupt die Bereitschaft der Fahrgäste, sich auf autonome Systeme einzulassen?
LF: Das wird sich einspielen. Wir nutzen ja auch alle Fahrstühle – und die lenkt auch niemand mehr von Hand.
SC: Wichtig ist, dass man den Fahrgästen den menschlichen Mehrwert der neuen Systeme erklärt. Wenn es in Zukunft Teilbereiche von Bahnstrecken geben wird, auf denen ein Zug autonom fahren kann, dann hat der Zugführer mehr Zeit, sich um die Bedürfnisse der Kunden zu kümmern. Unsere Verkehrsutopien verfolgen also keinen Selbstzweck. Der Mensch ist kein lästiges Übel der Technik. Der Mensch muss im Zentrum der Innovationen stehen.
Dieser Artikel wurde im Magazin "Mensch & Maschine" in Zusammenarbeit mit Cicero/Monopol publiziert.
Text: Ralf Hanselle, Fotos: Stephan Floss