Lange unterschätzt und stigmatisiert, hat afrikanische Literatur mittlerweile zahlreiche vielversprechende Nachwuchstalente hervorgebracht: Wayétu Moore, Max Lobe oder Yewande Omotoso beispielsweise. Sie alle haben im jungen Leipziger Indieverlag akono eine Heimat und ihr Sprachrohr gefunden. Der Kopf hinter akono: Jona Elisa Krützfeld, Verlegerin, Netzwerkerin – und zugleich ein Kopf voller frischer Ideen für die Zukunft der Branche.
Interview mit Jona Elisa Krützfeld, Akono-Verlag, Leipzig
Wenn ich zum Beispiel erzähle, was ich beruflich mache, bekomme ich unerhört oft zu hören: „Ach, da muss ich dich mal XY vorstellen, der hat ein Brunnenbauprojekt in Äthiopien/ein Waisenhaus in Ghana/ein Frauenprojekt in Sambia.“ Diese Assoziationskette ist total unzulässig, immerhin habe ich doch gerade von Literatur gesprochen. Es geht offensichtlich einfach viel zu selten um Kultur, Geschichte, Philosophie oder die Sprachen von Afrikanern. Diskurse, in denen sie zu bloßen Objekten europäischer Vorstellungskraft gemacht und entmenschlicht werden, sollten einfach der Vergangenheit angehören. Deswegen habe ich auch mit so viel Entschlossenheit meinen kleinen Verlag gegründet, in dem ich nicht nur Romane, Lyrik und Kurzgeschichten zeitgenössischer afrikanischer Schriftsteller verlege, sondern auch ein Onlinemagazin herausgebe, das die Arbeit von zeitgenössischen afrikanischen Künstlern in Musik, Photographie, Literatur, Film, bildender Kunst, Mode und Design vorstellt. akono soll eine Plattform für selbstbestimmte künstlerische Darstellungen von Afrikanern sein.
Dann versuchen wir es anders: Was schätzen Sie an der afrikanischen Mentalität?
Zum Beispiel den Humor, die Resilienz, die Vielsprachigkeit der Afrikaner, ihren Ehrgeiz und Erfindungsreichtum.
Als Kind sind sie mit ihrer Mutter viel nach Afrika gereist. Was verbindet Sie mit dem Kontinent? Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung?
Mit einigen Ländern, etwa Togo, Tansania, Uganda, Burundi, Namibia oder Kamerun, verbindet uns alle eine ganze Menge, schließlich waren sie einmal deutsche Kolonien. In Namibia fand der erste Genozid des 20. Jahrhunderts durch die Deutschen an den Ovaherero und Nama statt. In Tansania gab es den Maji-Maji Krieg. Überall haben die Deutschen auf die eine oder andere Art Spuren hinterlassen, und wir sind nach wie vor sehr verbunden mit vielen Orten in diesen Ländern, sei es durch Landverteilung, Straßen- und Ortsnamen, deutsche Wörter. Mich persönlich verbinden durch die Reisen mit meiner Mutter, die dort als Journalistin gearbeitet hat, viele persönliche Kontakte und Gespräche. Aber auch eine gewisse Überforderung durch die Vitalität von afrikanischen (Groß-)Städten, die faszinierende Natur, die unendlich vielen gesprochenen Sprachen oder auch den Bezug zu anderen Realitäten wie der Geister- und Ahnenwelt. Als eindrücklichste Erinnerung würde ich wahrscheinlich die Konfrontation mit radikal anderen Weltsichten beschreiben, die Erkenntnis, dass Europa nicht der Mittelpunkt der Welt ist und, dass Gemeinschaft und Sozialgefüge nach ganz anderen Prinzipien und Werten organisiert sein können, als ich es bisher kannte.
Gibt es ein Land, mit dem Sie sich besonders verbunden fühlen?
Ich habe nach dem Abitur für längere Zeit in Simbabwe gearbeitet und mich, auch wenn politisch und wirtschaftlich dort sehr viel schiefläuft, in Land und Leute verliebt. Simbabwe hat eine faszinierende Geschichte, von den Khoisan-Völkern in der Steinzeit über die Einwanderung der Bantu in der Eisenzeit bis zur Entstehung der großen Zivilisation Great Zimbabwe im europäischen Mittelalter. Und auch die jüngere Geschichte, die Dekolonisierung und Zeit nach der Unabhängigkeit, die Landreformen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen sind extrem spannend und bewegend. Ich pflege heute noch viele Freundschaften. Und wissen Sie was? Neulich traf ich auf einer Afro-Beats Party im Leipziger Osten zufällig den Neffen des jetzigen Präsidenten Mnangagwa, dem ich wiederum vor Jahren zufällig an einer Raststätte in Simbabwe begegnet war. Ich bin absolut kein Fan dieses Mannes, aber diese zufällige Begegnung zeigt, wie schnell so scheinbar unterschiedliche Welten zueinander finden können.
Wie mutig und vielleicht auch verrückt muss man sein, um mit gerade mal 28 Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Schon ein wenig. Geld damit zu verdienen zu wollen, sollte schon mal nicht der Antrieb sein (lacht). Ich bin aber überzeugt davon, dass man auch mit 28 Jahren Verantwortung übernehmen kann, Geschäftsführerin oder Programmleiterin sein kann und damit anderen jungen Menschen und vor allem jungen Frauen Mut machen kann, ein Wagnis einzugehen, um unsere Gesellschaft mitzugestalten und reicher zu machen an Perspektiven und Ideen. Verlegerin zu sein ist sicher kein Zuckerschlecken, aber ich liebe meine Arbeit, die Literatur, die Buchbranche und die Menschen, mit denen ich täglich zu tun haben darf.
Sie kommen von der Ostseeküste, leben nun in Leipzig. Was bedeutet „typisch Sächsisch“ für Sie?
Das ist ziemlich ambivalent. Spontan: eine gewisse Klangfarbe, Elbsandsteingebirge, Service-Verweigerung, Kaltschnäuzigkeit, sozialistisches Erbe, kulturelles Erbe, Königreich Sachsen.
Abschließend ein Blick auf den Buchmarkt: Worin sehen Sie die Herausforderungen der Verlagsbranche?
Sie muss den Nachwuchs fürs Lesen begeistern und nicht immer über Untergang und Kulturverfall im digitalen Zeitalter klagen. Wer liest, hat einen größeren Wortschatz und kann seine Gedanken besser artikulieren, und das ist eine Grundvoraussetzung für eine freie und demokratische Gesellschaft. Wenn man die Liebe zu Sprache spielerisch vermittelt bekommt durch engagierte Leute mit Vorbildfunktion, Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter, durch Leseförderung, Lesefestivals, Bibliotheken, Bücherschränke, Lesungen, Bookstagram, TikTok, Pop-Up Räume für Bücher, Meet and Greets mit Autoren im Metaverse, dann ist schon viel erreicht. Franz Fühmann in jeder Kinderbibliothek, das wäre was!
akono Verlag
Der akono Verlag aus Leipzig bietet afrikanischen Schriftstellern ein literarisches Zuhause.
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