Die kunstvolle Transparenz der Materie
Im Inneren der Fabriken malocht und schwitzte es. Hungrige Öfen erzeugen höllische Temperaturen, bringen Sand, Soda, Kalk, Pottasche und Bleimennige zum Schmelzen. Es kocht und brodelt. Müde Knochen schaufeln, schleppen und gießen in Form. Konzentrierte Augen schleifen, gravieren, ätzen. Aus zischendem Dampfen geht das Erschaffende hervor – Glas.
Ein kostbares, gläsernes Funkeln auf schwielig, dreckigen Händen.
So oder ähnlich hat es ausgesehen zur Boomzeit der Glasindustrie Ende des 19. Jahrhunderts in Weißwasser. 150 Jahre umfasst die Lausitzer Glasgeschichte und lässt sich in der beeindruckenden Sammlung des Glasmuseums in Weißwasser nachvollziehen.
Christine Lehmann ist Leiterin des Museums und erklärt:
„Sachsen ist berühmt für seine Industriegeschichte, aber kaum jemandem würde dabei die Glasindustriegeschichte als erstes einfallen. Dabei gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Lausitz und im Speziellen in Weißwasser eine unglaubliche Dichte an Glashütten. In Weißwasser allein gab es elf Glaswerke. Damit gehörte es um 1919 zu den größten Glas produzierenden Standorten der Welt.“
Vor der gläsernen Leichtigkeit kommt ein mühsames Tun
Es köchelt im Topf. Von den Rohstoffen bis zum fertigen Werkstoff „Glas“ können Museumsbesucher die einzelnen Produktionsschritte erfahren. Es hat was von Suppenküche, denn je nach Glasart braucht es ein spezielles Mischverhältnis der Stoffe. Kurzum: Jeder Glasart ihre Prise Besonderheit.
Nach der Materie kommt die Form. Eine originale Kelchwerkstelle und einen Glasschleifplatz gibt es zu bestaunen. Zangen und hölzerne Formen, Halteapparaturen – alles, was es braucht, um Glas zu formen oder zu veredeln.
Glasdesign in Perfektion
Wagenfeld war hier! Hier in Weißwasser.
In Bezug auf Design und industrielle Fertigung ein Maßstäbe setzender Ausnahmekönner, zeitloser Klassiker und pragmatischer Idealist.
„Die wohl überregional bedeutendste Sammlung des Glasmuseums Weißwasser ist die des Gestalters Wilhelm Wagenfeld.“ Hebt Leiterin Christine Lehmann hervor. „Wagenfeld war von 1919-1923 Schüler am Bauhaus in Weimar und entwickelte dort die berühmte Leuchte WG 24. Nach einer Anstellung bei Schott in Jena kam er 1935 nach Weißwasser und prägte hier zehn Jahre lang als künstlerischer Leiter die Produktlinie der Vereinigten Lausitzer Glaswerke (VLG).“
Aus Glas geformte Bauhausideale sind in Weißwasser entstanden. Zeitlos im Design. Zeitlos in Idee und Haltung.
Die Wagenfeld’schen Kelchglasserien „Oberweimar“ und „Lobenstein“ sind Meilensteine industriellen Produktdesigns. Bei Wagenfeld spiegelt sich die Beziehung zwischen Menschen und Dingen wieder – beide umgeben und beeinflussen sich wechselseitig. „Brauchbar sein heisst auch schön sein, denn alles brauchen muss schön sein können […].“ Hat er einst gesagt und war der Ansicht, dass Design und Kunst nicht für die Galerie, sondern für den täglichen Gebrauch geschaffen werden sollte. Weshalb Wagenfeld die Sprache der Form direkt aus der Funktion der Gegenstände ableitete. Ein Beispiel dafür ist das Kühlschrankgeschirr „Kubus“ in seiner perfektionierten Schlichtheit. Bei seinem Anblick wird aus einem gedankenlosen Kühlschrank auf, Kühlschrank zu, ein „Verweile doch! Du bist so schön!“.
Gläserne Vielseitigkeit
Glas! – Weil es fast überall ist, ist es so besonders. In Weißwasser werden alle Facetten dieses beeindruckenden Werkstoffes gezeigt. Und wenn man so will, ist das Glasmuseum ein Prisma der Lausitzer Glasgeschichte, bei dessen Besuch sich Licht in Freude zerstreut.