Rückgang des Dialektgebrauchs in Sachsen entspricht dem Deutschlandtrend. Doch es gibt Hoffnung!
Dr. Evelyn Koch hat viele Jahre an der Technischen Universität Dresden im Bereich Germanistik gelehrt, gilt als ausgewiesene Linguistik-Expertin mit dem Fokus auf Phonetik, Phonologie, Spracherwerb und Sprecherziehung, regionale Varietäten und nicht zuletzt für die Erforschung von Dialekten. Sie beschäftigt sich intensiv mit der Regionalsprache in Sachsen, untersuchte die unterschiedlichen Mundarten und Regiolekte im Freistaat und entwickelte gemeinsam mit Prof. Rainer Hünecke und einem Team von Linguisten, Germanisten und Historikern von der TU Dresden ein Sprachportal zur Sprachgeographie.
Liebe Frau Dr. Koch, können Sie uns kurz Inhalt und Ziel des Informationsportals »Dialekte in Sachsen« erläutern?
Das Informationsportal »Dialekte in Sachsen«befindet sich noch im Aufbau. Aktuell kann man dort eine Karte sehen, auf der die sprachliche Kleinräumigkeit in Sachsen so ausgewiesen ist, wie sie von Dialektologen Ende des 19. Jahrhunderts angenommen wurde. Künftig werden dort weitere Informationen zur Geschichte und zur gegenwärtigen Sprachsituation in Sachsen abrufbar sein. Ein wichtiges Ziel des Portals ist es, die aktuelle Sprachsituation in Sachsen zu dokumentieren. Wir möchten zeigen, wie viele Regionalmerkmale, die auf die ursprünglichen Mundarten zurückgehen, in Alltagssituationen in den einzelnen Regionen, Städten, aber auch kleineren Orten, vorkommen. Es geht uns um die tatsächlich gesprochene Sprache, nicht um kabarettistische Übertreibungen, wie man sie häufig in den Medien zu hören bekommt. Auf der interaktiven Karte lassen sich derzeit 40 Orte anklicken und dann entsprechende Hörproben der immer gleichen Bildergeschichte von verschiedenen Altersgruppen anhören. Demnächst wird es dort auch Informationen zum Dialektwissen der interviewten Personen geben.
Oft ist ja die Rede vom „sächsischen Dialekt“. Basierend auf Ihren Untersuchungen, gibt es den einen sächsischen Dialekt überhaupt?
Nein. In Sachsen existiert im Kerngebiet Leipzig-Dresden-Chemnitz eine übergeordnete Regionalsprache, die Merkmale der ursprünglichen Dialekte bewahrt hat. Die früheren Mundarten sind in den verschiedenen Regionen und vor allem im Stadt-Land-Vergleich allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt. Wenn man Dialekt bzw. Mundart alltagssprachlich definiert, kann man von mehreren dialektalen Sprechweisen in Sachsen reden.
Welche Dialekte werden in Sachsen gesprochen?
Ursprünglich ging die Forschung von einer starken sprachlichen Binnengliederung in Sachsen aus. Man nahm 21 verschiedene Mundarten an. Diese Kleinräumigkeit existiert heute nicht mehr. Wahrnehmungsdialektologische Untersuchungen belegen, dass die Menschen im Freistaat fünf Sprachräume unterscheiden: den Leipziger Raum mit den sich nördlich anschließenden Gebieten, den Großraum des Meißnischen mit seinem Zentrum Dresden, das Vogtland, das Erzgebirge und die Lausitz.
Wie haben Sie die Probanden für Ihre Untersuchungen ausgewählt? Oder konnte jeder mitmachen?
Prinzipiell konnte jeder mitmachen, der ortsansässig war. Die Untersuchungen waren ja Teil meiner Seminare. Meist haben die Studierenden Probanden aus ihren Heimatorten für die Interviews gewählt. Wir würden uns künftig aber auch über weitere Teilnehmer freuen.
Haben Sie Belege dafür gefunden, dass der sächsische Dialekt durch äußere Einflüssen, bspw. das Hochdeutsche oder andere sprachliche Einflüsse, verwässert oder ist es ein starker Dialekt, der sich auch in der Zukunft durchsetzen wird?
Sachsen stellt keine Ausnahme im deutschen Sprachraum dar. Die Sprachsituation ist deutschlandweit durch einen Abbau von Dialekten bzw. Mundarten geprägt. Das ist vor allem auf die Rolle der Schule und die Verbreitung der Standardsprache in den Medien zurückzuführen.
Regionalsprachen und regionale Akzente sind in erster Linie in der Alltagssprache vorherrschend. In formellen Situationen werden regionale Merkmale zugunsten der Standardsprache vermieden. Das trifft auch für Sachsen zu. Allerdings geht man in der Forschung von unterschiedlichen Regionalitätsspektren für die einzelnen deutschen Sprachräume aus. Der obersächsische Raum beispielsweise wird in einer Reihe von
Untersuchungen als ein eher homogener Raum mit kaum unterscheidbaren Sprechlagen gesehen. Leider beziehen sich diese Feststellungen auf wenige Untersuchungen in großen Städten wie Dresden und Leipzig. Besonders in kleineren Orten im Vogtland, im Erzgebirge und der Lausitz lassen sich nach unseren bisherigen Analysen deutliche Unterschiede zeigen. Die dort vorhandenen dialektal geprägten Sprechweisen weisen eine Stabilität auf, die als identifikationsstiftend anzusehen ist.
In Sachsen geliebt und zelebriert, wird der sächsische Dialekt außerhalb seit Jahrzehnten belächelt und ist mit vielen Vorurteilen und stigmatisierenden Typisierungen behaftet. Wie erklären Sie sich das schlechte Image des Sächsischen?
Die Vorurteile können nicht zweifelsfrei erklärt werden. Es gibt Vermutungen, die einen Zusammenhang zwischen dem zunehmenden politischen Machtverlust Sachsens und der Abwertung des Sächsischen, beginnend 1756 nach dem Siebenjährigen Krieg und dem wachsenden Einfluss Preußens, sehen. Hinzu kommt die unsägliche Diskussion um den Dialektstatus und die Assoziation des Sächsischen mit dem Ostdeutschen. Mediale Karikaturen und forschungsmethodisch unseriöse Umfragen tragen zu einer Tradierung dieser Vorurteile bei.
Können Sie uns kurz etwas über die historische Entwicklung des sächsischen Dialektes erzählen?
Die Herausbildung der sächsischen Dialekte/Mundarten erfolgte im Mittelalter im Zuge der Besiedelung Sachsens. Nach Interferenzen mit den ehemals sorbischen Gebieten im 11. Jahrhundert kam es ab dem 13. Jahrhundert durch Bewegungen von Siedlern aus dem niederdeutschen, mitteldeutschen und oberdeutschen Raum zur Entstehung von Neudialekten. So wurden neben mitteldeutschen Besonderheiten auch sprachliche Merkmale aus dem niederdeutschen, fränkischen, bairischen, böhmischen und schlesischen Raum übernommen, die heute noch abgeschwächt in den Sprachlandschaften nachweisbar sind. Es entstanden Ausgleichsmundarten, die Elemente der Herkunftsmundarten enthielten.
Die Schriftsprache hingegen entwickelte sich eigenständig. Sie bildete sich ebenfalls als eine Ausgleichsprache zwischen der oberdeutschen Schriftsprache (gemeines Deutsch) und der niederdeutschen Schriftsprache heraus. Die Ausbreitung dieser Schriftsprache innerhalb der Wettinischen Kanzlei trug zu deren Ansehen („Meißner Kanzleideutsch“) bei. Das Ansehen des „Sächsischen“ – und das ist wichtig zu wissen - bezog sich auf diese Schriftsprache, nicht auf die sächsischen Dialekte.
In Beliebtheitsrankings belegt der sächsische Dialekt regelmäßig hintere Plätze. Was kann man Ihrer Meinung nach dagegen tun?
Vorurteile sind nur langfristig zu entkräften. Umfragen sollten hinterfragt werden. Auch die Kenntnis der eigenen Sprachsituation und die Einstellung zur eigenen Sprechweise kann solchen negativen Fremdbewertungen entgegenwirken.
Welches ist Ihr persönliches Lieblingswort im Sächsischen?
Seit ich in Dresden wohne: „weesschni“ – also „weiß ich nicht“.
Herzlichen Dank, liebe Frau Dr. Koch!