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Die Geschichte des Sächsischen

Sachsen steht an der Spitze ...

... seit Jahren – als unbeliebtester Dialekt Deutschlands. Nach einer Allensbach-Umfrage von 2008 mochten 54% der Befragten unser Sächsisch überhaupt nicht. Mit deutlichem Abstand folgte damals das Baierische, das 21% nicht gern hörten. Warum ist ausgerechnet unser Sächsisch so unbeliebt? Darum soll es in unserer unterhaltsamen und kurzweiligen Edutainment-Reihe „Die Geschichte des Sächsischen“ gehen und Spoiler: Das hat eigentlich nichts mit der Aussprache, nichts mit der Sprachmelodie zu tun sondern vor allem mit der Geschichte.

Gemeinsam mit Dr. André Thieme, Festungskommandant der Festung Königstein, Historiker und Spezialist für die Geschichte Sachsens, gehen wir die Sache mit „Deutschlands unbeliebtesten Dialekt“ an:

Folge 2: Hochmut kommt vor dem Fall

Folge 1: Von den Ursprüngen zu den Sternstunden

Eine Geschichte in 6 Akten

1. Wo kommt das Sächsische her?

Das Sächsische ist ein junger Dialekt. Die meisten anderen Dialektgruppen - Bairisch, Alemannisch, Niederdeutsch – entstanden schon nach der sogenannten Völkerwanderung also im frühen Mittelalter. Das, was wir heute Sächsisch nennen, formte sich dagegen erst gut 500 Jahre später, vom 12. Jahrhundert an.

Was also passierte vor 800 Jahren: Damals strömten Bauern und Bergleute aus allen Teilen des Reiches in Massen hierher in den Osten, in die Mark Meißen. Die Einwohnerzahl vervielfachte sich innerhalb weniger Jahrzehnte. Die Siedler aus Nord, Süd und West brachten ihre eigenen Dialekte mit und hatten Mühe, sich untereinander zu verständigen.

Zwischen Altenburg und Penig etwa liegen nebeneinander die Dörfer Beiern und Flemmingen. Dort trafen also niederdeutsche Flamen auf oberdeutsche Baiern, die ganz anders sprachen. Aus dieser Kollision der Dialekte entwickelten sich neue Mundarten – zwangsläufig, damit man sich verstehen konnte. Dabei glichen sich die verschiedenen Dialekte aus. Vor allem süddeutsche und westmitteldeutsche Dialekte mischten sich hier zu etwas Neuem, zu einem Dialekt, der weithin verstanden wurde und aus dem schließlich unser Sächsisch herauswachsen sollte.

Aber halt: von Sachsen war damals hierzulande noch nicht die Rede. Es waren eigentlich Meißner Mundarten, die entstanden, genannt nicht nach der Stadt, sondern nach der viel größeren Markgrafschaft Meißen.

2. Das Meißner Kanzleideutsch: Sächsisch als Hochdeutsch

Landesherren des heutigen Sachsen waren die Wettiner, erst als Markgrafen von Meißen, dann seit 1423 auch als Kurfürsten von Sachsen. An ihren Höfen entwickelte sich aus den Mundarten des Landes heraus eine weiter ausgleichende Schriftsprache: das Meißner Kanzleideutsch. Sein Vorteil: Man verstand es fast überall. Und mit Martin Luther sollte dieses Meißner Kanzleideutsch im 16. Jahrhundert zum maßgebenden Dialekt des Reiches werden. 

Denn Martin Luther immerhin ein kursächsischer Untertan, setzte für seine Bibelübersetzung auf das Meißner Kanzleideutsch. Er schrieb selbst: Ich rede nach der sächsischen Canzley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland ... darum ists auch die gemeinste (also verständlichste) deutsche Sprache.

Mit Luthers Bibel begann der Siegeszug des Sächsischen. So nannte man die Sprache bald nach dem Hof der inzwischen zu Kurfürsten von Sachsen aufgestiegenen Wettiner. Gesprochen wurde dieses Sächsisch von der sächsischen Oberschicht, Adel und Bürgern in Leipzig, Altenburg, Dresden und Chemnitz. Und weil Sachsen damals als ein Zentrum der Wissenschaften und Künste im Reich und in vielen Belangen als vorbildlich galt, übertrug man das auch auf die Sprache des Landes.

Das Oberschichten-Sächsisch wurde zum Kern der neuen deutschen Hochsprache des 17. und frühen 18. Jahrhunderts und zum Vorbild für ein Hochdeutsch. Für den damals berühmten Johann Christoph Adelung, der ein „Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ herausgab, galt dieses Sächsisch nicht nur als Sprache der blühendsten und cultiviertesten Provinz, sondern auch als Mittelweg zwischen „dem weitschweifigen Schwulste und rauhem Wortgepränge des Oberdeutschen und zwischen der schlüpfrigen Weichlichkeit des Niedersächsischen“. Das klingt für unser sächsischen Ohren natürlich großartig, aber: Hochmut kommt vor dem Fall.

3. Sächsisch als Dialekt der Spießbürger

Am Sächsischen hatte es schon Kritik gegeben, als es noch obenauf war. Man rügte, dass Schrift und gesprochene Sprache auseinanderfielen, dass man zwischen b und b, zwischen d und d nicht unterscheiden konnten –– sie wissen, was ich meine …

Dazu kam, dass Sachsen auf dem Weg in die politische Zweitklassigkeit war. Seit dem späten 18. Jahrhunderts dominierte ein anderes Fürstentum: Preußen. Und dort sollte man nun bestimmen, was Hochdeutsch war: die Sprache der hochdeutschen Schriftsteller, aber so, wie man sie in Brandenburg und im östlichen Niedersachsen aussprach.

Damit wurde Sächsisch zum provinziellen Dialekt; mehr noch zum geschmähten Dialekt. Damit war es freilich keine Ausnahme: Überall erschienen dem 19. Jahrhundert Dialekte als pöbelhaft und lächerlich. Das Baierische etwa galt als bäuerlich und für das Sächsische gab es eine besondere Demütigung. Von Berlin aus rechnete man mit dem alten Konkurrenten ab und machte Sächsisch zur Sprache überheblicher, engstirniger und geschwätziger Spießbürger. Der Bliemchen-Sachse war geboren – und in Olaf Schubert lebt er bis heute.

Dass Dresden damals weiter eine künstlerische Metropole, dass Leipzig um 1900 die führende Universität im Reich war und dass hier so wunderbar kluge Dialektliteratur wie die von Lene Voigt entstand – all das änderte am Status des Sächsischen nichts. Seine Geschichte als unbeliebtester Dialekt nahm Fahrt auf.

4. Die Talfahrt des Sächsischen im 20. Jahrhundert

Die Nazis haben dazu ganz gegen ihre Absicht beigetragen. Da haben wir den brutalen sächsische Gauleiter Mutschmann; der versuchte gegen das schlechte Image des Sächsischen vorzugehen. Er verbot dazu ausgerechnet die sächsischen Mundartkomiker wegen ihrer Sprachluderei und Zersetzung hoher Kulturgüter. Mutschmann wetterte außerdem gegen die Sachsenwitze – was nur dazu führte, dass die im restlichen Reich umso mehr kursierten.

Dann kam Walter Ulbricht und ließ den Sozialismus siechen: Der erste DDR-Staatschef sächselte wie aus dem Bilderbuch und sorgte damit für Heiterkeit - gerade im Westen. Und weil sich die Westdeutschen dann auch von den meisten DDR-Grenzsoldaten so anschnauzen lassen mussten, wurde Sächsisch zur Sprache der DDR – und zu einem Dialekt, dem man immer weniger Sympathien entgegenbrachte.

Komplizierter war das in der DDR selbst. Hier galt Sächsisch in Berlin als Dialekt der neuen zugewanderten SED-Eliten, während man in Sachsen das Sächsische als Widerstand gegen die zentralistische Ostberliner Diktatur wiederentdeckte. In der Friedlichen Revolution, die von 1989 Sachsen ausging, erlebte das Sächsische nochmal einen kurzen Imagegewinn – der allerdings schnell verpuffte.

5. Nach der Wende: Sächsisch in der Bundesrepublik

Um es kurz zu machen. Nach der Wende von 1989 sank das Sächsische in der öffentlichen Wahrnehmung zügig zur Unterschichtensprache ab. Sachsen oder Ostdeutsche in maßgeblichen Positionen gab es plötzlich kaum noch – und wenn, sprachen sie nicht Sächsisch. Sächsische Dialektsprecher tauchten stattdessen immer mehr in den Nachmittagsshows der privaten Fernsehsender auf: als Pöbel. Vereinzelte Widerstandskämpfer wie Ilse Bähnert konnten diese Entwicklung nicht wirklich aufhalten.

Die Öffentlich-rechtlichen dagegen setzten den sächselnden Sachsen gern als Nazi, Rechten, Pegida-Anhänger oder Hutbürger in Szene. Gegen Hass und Hetze sprach man hochdeutsch oder westdeutsch… Die Sachsen etablierten sich zum Mülleimer für das westdeutsche Unbehagen über die Wiedervereinigung und ihre Folgen.

Denn der Ossi sächselt, auch wenn das nur für ein Drittel der Ostdeutschen wirklich zutrifft. Die wiederkehrende Wahl von Sächsisch zum unbeliebtesten Dialekt machte also vor allem die mentale Differenz zwischen Ost und West deutlich.

Auf die Spitze treibt dies eine Umfrage (für Babbel) aus dem Jahr 2024. Danach ist Sächsisch nicht nur der unbeliebteste Dialekt, sondern wer sächselt gilt auch als weniger intelligent. Wirklich?

6. Sächsisch im 21. Jahrhundert

Sprechökonomie heißt, mit möglichst geringem sprachlichem Aufwand zu kommunizieren, also effizient. Darin sind wir Sachsen deutsche Meister: Wir verschmelzen Laute, verschlucken Endungen, ziehen Wörter zusammen und verschleifen harte Konsonanten in weiche. Isch gönnt no mehr dzu sachn, aber ich will ni.

Sächseln ist dabei nicht immer effektiv, denn wir Sachsen neigen zum Nuscheln. Aber wenn man so will, ist Sächsisch der Dialekt zum Schnellsprechen. Und weil es eine vorsichtige Korrelation zwischen schnellem Sprechen und schnellem Denken gibt, schließt sich hier womöglich der Kreis zu einem anderen Spitzenplatz der Sachsen. Zu dem im deutschen PISA-Äquivalent, dem IBQ-Vergleich über Bildungsqualität und Schülerleistungen. Auch dort liegt Sachsen konstant auf Platz 1. Ist Sächsisch also der intelligenteste Dialekt Deutschlands?

Nun ja, immerhin liegt der Freistaat Bayern knapp hinter Sachsen auf Platz 2. Und sowohl das Bairische als auch das Fränkische erscheinen hinsichtlich ihrer Sprechökonomie zwiespältig. Wir Sachsen sollten also nicht überkompensieren.

Dazu gibt es auch keinen Grund, denn wenn man den jüngeren Umfragen glauben will, dann sieht es gar nicht so schlecht aus für den sächsischen Dialekt: Statt der 54% von 2008 kürten in einer neueren Umfrage von 2023 nur noch knapp 38% Sächsisch zur unbeliebtesten Mundart.

Noch etwas gibt Hoffnung: Eine Umfrage des MDR von 2024 hat ermittelt, dass Jüngere in Mitteldeutschland weiterhin Dialekt sprechen, zumindest unter Freunden und in der Familie. Und die Jungen entwickeln den sächsischen Dialekt weiter. So hat sich das junge Sächsisch der Hochsprache zwar angenähert, aber Typisches beibehalten. Das Sächsische stirbt also nicht aus, es ist lebendig und präsent. Und wie alle Dialekte ist auch das Sächsische ein Stück Heimat.

Wir Sachsen dürfen also mit gelassenem Selbstbewusstsein auf die Beliebtheitsskalen der deutschen Dialekte schauen. Und wir sollten mit gelassenem Selbstbewusstsein, mal mehr und mal weniger, weiter sächseln. Lächerlich machen wir uns nur, wenn wir krampfhaft versuchen, unsere Sächsisch zu verbergen.