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Sachsen liest

Eine Wiese für alle. – Eine Wiese für alle?

Kongeniales Duo thematisiert Flucht und Vertreibung auf einfühlsame Weise

Das Jahr 2024 ist noch jung. Doch bis Anfang Februar waren bereits über 110 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken. Seit 2014 starben auf dieser Route fast 30.000 Menschen auf ihrem Weg nach Europa. Mittlerweile sind wir in Deutschland weiter weg von der Willkommenskultur des Jahres 2015 als je zuvor. Statt „Wir schaffen das!“ vernimmt man nun oft auch: „Wir wollen das nicht!“ Hass und Hetze, anstelle von Empathie und Solidarität, dominieren die öffentliche Debatte.

Vor diesem Hintergrund ist 2020 ein Kinderbuch entstanden, das bis heute für Furore sorgt. „Eine Wiese für alle“ heißt das 40-seitige Buch von Hans-Christian Schmidt und Andreas Német (Illustrationen), erschienen im Leipziger Klett Kinderbuch Verlag. Ein Plädoyer für Menschlichkeit, das Kindern ab vier Jahren, aber eigentlich auch den Erwachsenen, die einfache Frage stellt: Willst du helfen oder lieber nicht?

Die Geschichte ist schnell erzählt, und zwar aus der Sicht eines Schafes. Die kleinen und großen Leserinnen und Leser schlüpfen in eben diese Rolle und leben gemeinsam mit anderen Schafen auf einer idyllischen Wiese. Vor nichts müssen sie sich fürchten. Eines Tages sehen sie im Meer vor ihrer Weide ein fremdes Schaf in Not. Sie müssen sich entscheiden: Retten sie das Schaf oder lassen sie es ertrinken? Einprägsam thematisiert die herzzerreißende Geschichte das Thema Flucht. Das Besondere daran: Die Leser sind Teil der Geschichte, können das Ende selbst mitentscheiden.

„Ein rundherum gelungener Einstieg zum Nachdenken“, befindet die UN-Flüchtlingshilfe, der der gesamte Verkaufserlös zu Gute kommt. Und weiter: „Was wäre wenn? Hat das Leid anderer mit mir zu tun? Wie nah lasse ich es an mich heran? Wie würde ich entscheiden? Auch die Kleinsten unter den Zuhörern können über diese und andere Fragen nachdenken und sie miteinander besprechen. Das Buch macht Hoffnung.“

Hoffnung macht den beiden Autoren Hans-Christian Schmidt und Andreas Német auch die Reaktionen der Kinder bei ihren Lesungen. „Wir erleben immer wieder, wie spätestens auf Seite 3 Ruhe einkehrt, und alle mit großer Selbstverständlichkeit das verfolgte Schaf retten wollen“, sagt Hans-Christian Schmidt. Für die Kinder sei klar, jemandem in Not müsse unbedingt geholfen werden. „Kinder haben grundsätzlich ein hohes Maß an Menschlichkeit“, ergänzt Illustrator Andreas Német. „Leider verlieren die Erwachsenen in ihrem täglichen Alltagskampf oft die Fähigkeit, die Not der anderen zu sehen.“

„Man kann über alles sprechen, wenn Kinder es wollen.”

Ihr gemeinsames Erfolgsrezept ist die beständige Suche nach Qualität, abseits schlechter Massenware. „Ein gutes Kinderbuch muss im Idealfall sowohl Kinder, als auch Erwachsene erreichen“, sagt Hans-Christian Schmidt. „Entscheidend ist dabei, die Kinder ernst zu nehmen, Ton, Inhalt und Bilder müssen aus einem Guss sein.“ Unabdingbar sei außerdem ein hohes sprachliches Niveau, so Schmidt, der im Hauptberuf als Lehrer arbeitet.

Ähnliches gelte auch für die Illustrationen, so Német. „Auch hier geht es um Augenhöhe und darum, den Kindern mit Humor, Witz, ja auch Ironie, ein Stück Bildung mitzugeben.“ Eine wichtige Voraussetzung sei außerdem, als Illustrator eine eigene Haltung zu den Themen zu entwickeln. Sonst würde das Ergebnis flach und klischeehaft. „Als Illustrator bin ich ja auch Geschichtenerzähler.“

Auf diese Weise hat das kongeniale Duo bereits 55 Kinderbücher gemeinsam verfasst. Zu leichteren Themen, aber immer wieder auch zu anspruchsvolleren, wie Kindesmissbrauch oder sexuelle Aufklärung. Dabei gibt es für Schmidt kaum ein Thema, das man nicht in einem Kinderbuch aufgreifen kann. „Ich halte es für falsch, Kinder von schwierigen Themen fernzuhalten, es betrifft ja auch immer irgendwie ihre Lebenswirklichkeit.“ Anders gesagt: „Man kann über alles sprechen, wenn Kinder es wollen.“