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Lachen mit Lene: Heimat fängt mit Sprache an

Ja, auch hierzu hatte Goethe natürlich was zu sagen: „Jede Provinz liebt ihren Dialect: denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Athem schöpft", so der Dichterfürst. Er selbst wurde als junger Mann nach Leipzig geschickt, um dort neben Jura auch die sächsische Art zu sprechen zu erlernen. Denn vom 16. bis zum 18. Jahrhundert galt das Meißnische Sächsisch als das beste Deutsch. Selbst Martin Luther hatte es als Grundlage seiner Bibelübersetzung gewählt. Sächsisch – wohlgemerkt das geschriebene Wort - war lange Zeit eine Prestigesprache. Erst mit dem Aufstieg Preußens nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) verlor das Sächsische nach und nach an Ansehen. Ab da waren die Sachsen die Verlierer, über deren Sprache man sich lustig machte. Seither wurde das Sächsische verlacht und verächtlich gemacht, die Sachsen selbst als Meckerer und Spießer beleidigt und diskriminiert.

Das hat den Dresdner Schriftsteller Georg Zimmermann schon 1913 veranlasst, in Dresden eine Konferenz zur „Ehrenrettung des Sächsischen“ einzuberufen. Er hatte festgestellt, dass „sich andere deutsche Dialekte in Prosa und Poesie, sogar bis zum Schauspiel, sich Anerkennung zu erobern wussten“, während sich „viele ganz und gar Unberufene veranlasst fühlten, die sächsische Mundart zu karikieren und lächerlich zu machen.“

Sächsisch ist beliebter geworden

Eine absurde Abneigung, die offenbar bis heute, zumindest außerhalb der sächsischen Landesgrenzen, anhält. Noch 2023 hat eine Umfrage der Online-Sprachlernplattform preply.com ergeben: Sächsisch ist mit Abstand der unbeliebteste deutsche Dialekt unter 18 bekannten Mundarten. Mehr als jeder dritte Befragte hatte für Sächsisch gestimmt, gefolgt vom Schwäbischen, Bairischen und Thüringischen. Doch es gibt auch gute Neuigkeiten: Sächsisch ist beliebter geworden! Das zeigt zumindest der Vergleich mit der fünfzehn Jahre zurückliegenden Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache. Damals wählte noch mehr als jeder zweite Befragte – insgesamt 54 Prozent – Sächsisch zum unbeliebtesten deutschen Dialekt. Heute sind es dagegen nur noch 38 Prozent. (Quelle: Die unbeliebtesten deutschen Dialekte (preply.com). Leider glaubt auch bis heute noch so mancher Westdeutsche, sächsisch sei die DDR-Staatssprache gewesen. Auch nicht gerade förderlich: die Berichterstattung in den Medien, die besonders im Fernsehen den sächselnden Wutbürger vorführt.

Eene säks`sche Glassigerin

Doch zurück zu Lene Voigt. Für das Leipziger Sächsisch fand der Schriftsteller Hans Rothe schon 1930 in der Zeitschrift „Querschnitt“ lobende Worte: „Dialekt ist nur ein anderer Ausdruck für Geistesrichtung, das tiefe Merkmal des Leipzigers ist Selbstironie, und darauf hat er seine Sprache aufgebaut, die kein Lautfremder nachzuahmen vermag. Denn Selbstironie bedeutet eine so hohe Stufe der Zivilisation, dass man sie bei Landfremden eben nicht voraussetzen kann.“

Für regelrechte Begeisterung hat seit dieser Zeit vor allem sie gesorgt. Lene Voigt (1891 bis 1962). Ihr Grundverständnis: „Es gibt nichts Ulkigeres als einen Sachsen, der sich geniert, einer zu sein.“ Das Leben der „sächsischen Nationaldichterin“ ist ein Frauenschicksal zwischen Kaiserreich, Nazidiktatur und DDR. Mit Texten und Gedichten in Mundart wurde sie besonders in den 1920er und 1930er Jahren populär. Ihr vielfältiges Werk enthält Gedichte, Humoresken, Prosatexte und feuilletonistische Arbeiten.

Lene Voigt wurde 1891 als Helene Alma Wagner geboren und wuchs in der Leipziger Ostvorstadt auf. Bereits 1906 erschien ihre erste Veröffentlichung in der Zeitschrift „Der Leipziger“, ab 1912 weitere Beiträge in der Zeitung „Leipziger Hausfrau“. In der Anthologie „Dichtung und Prosa Leipziger Frauen“, die 1914 zum 25-jährigen Bestehen des von Louise Otto-Peters mitbegründeten Leipziger Schriftstellerinnen-Vereins erschien, war sie als Helene Wagner mit Gedichten auf Hochdeutsch und in Mundart sowie einer Prosaskizze vertreten. Von Anfang an dichtete sie in Sächsisch und Hochdeutsch.

Es ist allerdings auch überliefert, dass Lene Voigt trotz ihrer hervorragenden Kenntnisse des Sächsischen zum Vortrag ihrer im Dialekt verfassten Werke nicht geeignet gewesen sei, da sie selbst ein reines Hochdeutsch sprach. Darauf hatte offenbar ihre Mutter in der Erziehung ihrer Tochter strikt geachtet. Den Sinn für das Sächsische hat sie offenbar vom Vater mitbekommen.

Mitte der 1920er bis Mitte der 1930er Jahre stand Lene Voigt auf dem Höhepunkt ihres literarischen Ruhmes. Ab 1925 erschienen in schneller Folge ihre ersten Bücher, u. a. die „Säk'schen Balladen I“ und „Säk'sche Glassigger“. Ihre bekanntesten „Übersetzungen“ von Literaturklassikern lösen bis heute Begeisterungsstürme aus. Man denke nur an „De Reiwer, Ä Schdurm- un Drangschdigge von zwee Briedern aus gudr Familche", „Gabale un Liewe oder De deedliche Limonade" oder „Wilhelm Dell oder Bolidik un Familche".

Ab 1936 sah sich die Dichterin zunehmenden Anfeindungen seitens der Nationalsozialisten ausgesetzt. Ihr Werk wurde als „Kulturbolschewismus“ verunglimpft, Neuauflagen wurden verboten, ihr Verlag müsste ihre Bücher einstampfen. Das Berufsverbot hatte nicht nur finanzielle Folgen für die Schriftstellerin. 1936 wurde sie in der Nervenheilanstalt Schleswig erstmals wegen einer Psychose behandelt, 1940 und 1946 dann in der Universitäts-Nervenklinik Leipzig und schließlich wegen Schizophrenie in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig-Dösen eingewiesen. Auch nach ihrer Heilung blieb Lene Voigt im Krankenhaus und arbeitete dort bis zu ihrem Tod 1962 als Buchhalterin und Botin.

Nach 1945 geriet das Werk Lene Voigts zunehmend in Vergessenheit. Neuauflagen ihrer Werke in der DDR wurden durch das in Leipzig geborene, sächselnde Staatsoberhaupt Walter Ulbricht ausgebremst. Erst ab 1983 kam es zur Widerentdeckung ihres reichen Schaffens, maßgeblich zu verdanken dem Publizisten Wolfgang U. Schütte (1940-2020) und seinem 1983 erschienen Sammelband „Bargarohle, Bärchschaft un sächs’sches Ginsdlrblud. Lauter gleenes Zeich zum Vortragen und noch etwas mehr“. Schütte ist auch Herausgeber der sechsbändigen Lene-Voigt-Gesamtausgabe, die bei der Connewitzer Verlagsbuchhandlung erschienen ist.

Auch sächsische Kabarettisten wie Bernd-Lutz Lange und Gunter Böhnke sowie Tom Pauls und Gisela Oechelhaeuser entdeckten Voigts Werke wieder und brachten sie in zahlreichen Programmen auf die Bühne.

„Ich bin der Meinung, dass Lene Voigt wie niemand sonst die spezifische Wesensart der Sachsen in ihrem Werk ausgedrückt hat.“ Tom Pauls

„Was mich am meisten beeindruckt an Lene Voigt, ist die Art, wie sie über die Menschen spricht. Sie hat die Sachsen wirklich geliebt.“ Gunter Böhnke

In Leipzig erinnern heute nicht nur zwei Straßen an die „sächsische Nachtigall“, auch an der Lene-Voigt-Schule hält eine Mundartgruppe die Erinnerung wach. Seit 2004 bietet zudem der Lene-Voigt-Park auf dem Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofs vielfältige Freizeit-und Erholungsmöglichkeiten für Jung und Alt.

Seit 1995 widmet sich der Lene-Voigt-Gesellschaft e.V. der Verbreitung ihres Werkes, u.a. mit Rezitationswettbewerben für Erwachsene („De Gaffeeganne“) sowie für Kinder und Jugendliche („Gaggaudebbchen“). Getreu dem Motto: Heimat fängt mit Sprache an. „Dabei ist es vornehmes Anliegen der Gesellschaft, sie nicht einseitig als ‘Mundartdichterin‘ festzulegen“, erklärt der Vereinsvorsitzende Klaus Petermann. „Die Dichtung von Lene Voigt verdient große Wertschätzung, sowohl in ihrer literarischen als auch in ihrer historisch-gesellschaftlichen Bedeutung. Wir sollten ernster und sorgsamer mit ihrem Werk umgehen, mit angemessener Demut und literarischem Feingefühl ihre Werke interpretieren und rezitieren. Somit geben wir Lene Voigt den ihr gebührenden Platz in der Riege deutscher Dichter“.

Lene Voigt wurde auf dem Leipziger Südfriedhof begraben. Seit 1985 stehen auf ihrem Grabstein die Zeilen aus ihrem Gedicht „Unverwüstlich“: „Was Sachsen sin von echtem Schlach, die sin nich dod zu griechn.“