Eine ganz besondere Europa-ErFAHRung
Markus Weinberg kennt die Höhen und Tiefen des Lebens. Einst Profi-Rennradfahrer, arbeitet er heute als Journalist und Dokumentarfilmer, und das ziemlich erfolgreich. Zuletzt machte er 2021 mit „Kirgisistan – Über den Wolken“ über eines der härtesten Bikepacking-Rennen der Welt von sich reden, und mit dem Netflix-Film: „Jonas Deichmann – Das Limit bin nur ich“. Dann kamen die Pandemie und die Insolvenz seiner Eventagentur, mit der er Radrennen und Mountainbike-Reisen in den Osten organisierte. Doch Weinberg ist ein Stehaufmännchen, rappelt sich immer wieder auf – und hat jetzt sein nächstes Projekt in den Blick genommen, wie immer ein Projekt der Extreme: den European Connection Trail. Eine rund 8.000 Kilometer lange Bikepacking-Reise quer durch Europa. Wir haben mit Markus über diese verrückte Idee gesprochen und festgestellt, dass dahinter vor allem eines steht: eine klare Vision und eine durchdachte Planung.
Markus, auf Instagram, TikTok und Co. kann man heute unzähligen Extremsportlern folgen, wie sie die Welt durchwandern, -fahren, -schwimmen oder überfliegen. Was ist das Besondere an Deinem Projekt?
Als Journalist und Filmemacher habe ich schon oft Menschen auf ihren Reisen dokumentarisch begleitet und deren Geschichte erzählt. Was mir dabei aber oft gefehlt hat, ist das echte Interesse für die Orte, die sie durchqueren, und etwas Demut und Dankbarkeit dafür, Gast sein zu dürfen. Viele dieser Influencer nehmen sich selbst viel zu wichtig und sind mehr damit beschäftigt, sich darzustellen, als eine Botschaft zu transportieren. Mir geht es um genau diese zweite Erzählebene, etwas weg von der Ich-Perspektive, hin zu Relevanz und einem gewissen gesellschaftlichen Mehrwehrt.
Und was genau erhoffst Du Dir von Deiner Reise?
Mit dem European Connection Trail möchte ich natürlich einerseits eine sportliche Challenge bestehen. Es wird mit 7.800 Kilometern Strecke nicht nur die längste Radtour meines Lebens, sondern ist vermutlich auch die längste Offroadroute, die man auf einem Gravelbike von der norwegisch-russischen Grenze bis ins südwestliche Portugal, zum Cabo de São Vicente, bestreiten kann. Natürlich wünsche ich mir aber auch, eine positive Geschichte von Europa erleben zu dürfen. Zu erfahren, was diesen Kontinent ausmacht, mit all seinen historischen Errungenschaften, Visionen und Ideen. Wo und wie kann man diese Freiheit besser erleben als auf dem Rad, wenn man abseits touristischer Routen durchs „Hinterland“ des Kontinents fährt? Ich bin gespannt, mit welchem Gesicht mir dieses Europa begegnet.
Wie kam es zur Namensgebung European Connection Trail?
Das große Vorbild ist die Mutter aller unsupported Bikepacking Routen, die „Great Divide Mountainbike Route“ in den USA, die entlang der Wasserscheide der Rocky Mountains verläuft. Vor drei Jahren bin ich entlang dieser Route das berühmte Gravel Bikepacking Rennen „Tour Divide“ gefahren und war Feuer und Flamme, nachdem ich wochenlang mit Gravelbike und Zelt durch die abgeschiedene Natur Kanadas, durch die USA bis nach Mexiko geradelt bin. Seit der Gravelboom ausgebrochen ist, sind weltweit sehr viele weitere Routen entstanden, allesamt durch diesen Klassiker inspiriert. So auch der “European Divide Trail“, den 2019 der Brite Andy Cox prägte, und der durch neun Länder führt. Für mich war der Begriff „Divide“ allerdings immer unglücklich gewählt, denn in puncto Europa sollte immer das Verbindende im Mittelpunkt stehen, nicht das, was uns trennt. Daher habe ich „Divide“ kurzerhand durch „Connection“ ersetzt und die Route um fünf Länder erweitert und hoffe nun, viel Verbindendes zu erfahren.
Kannst Du uns kurz Deine Route vorstellen?
Na klar. Sie führt von Nordosteuropa, dem kleinen Örtchen Grense Jakobselv an der norwegisch-russischen Grenze, bis ins südwestliche Portugal zum Cabo de São Vicente. Ich starte in Norwegen und durchfahre Finnland, Schweden, Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, die Schweiz, Italien, Andorra, Spanien und Portugal. Die Route führt abseits touristischer Hotspots durch unglaublich viel Natur, ländliche Gegenden und großartige Gebirge. Geschlafen wird meist im Zelt, und das Ganze natürlich überwiegend im Selbstversorgermodus.
Du hast vermutlich mehr Zeit Deines Lebens auf dem Fahrrad verbracht als hinter der Kamera. Gibt es eine Anekdote, eine Begegnung, an die Du Dich besonders gern erinnerst?
Da fallen mir auf Anhieb zwei ein: zum einen die unglaublichen Emotionen, als ich am Ziel der „Tour Divide“ angekommen bin. Mitten in der Wüste, im Nirgendwo der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Kein Zielbogen, kein Applaus, keine Menschen, einfach nichts. Da war man so mit sich, das hat mich überwältigt und war so viel anders als der professionelle Radsport. Zum anderen erinnere ich mich an eine Anekdote als Jugendlicher mit meiner Wandervogelgruppe auf Fahrt im südlichen Italien. Wir sind in ein Bergdorf gekommen, wo gerade ein Fest stattfand. Alle, ob Jung oder Alt, haben gesungen. Wir haben unsere Gitarren rausgeholt, mitgespielt, gemeinsam gesungen. Es wurde ein rauschendes Fest, das mich tief beeindruckt hat – obwohl ich kein Wort verstanden habe.
Du bist bis Ende September unterwegs. Wovor hast Du den größten Respekt, was ist für Dich persönlich die größte Herausforderung?
Ganz ehrlich? Dass mir mein Anspruch nicht auf die Füße fällt. Die Radreise an sich bietet ja schon genügend Stoff für Geschichten. Aber dann noch so ein großes, gewichtiges Thema im Gepäck, dem ich gerecht werden möchte? Das stimmt mich demütig, spornt mich aber auch an.