Inhalt überspringen
Leben & Arbeiten

Katja Fietz - Hommage an das „Blaue Wunder“

Katja Fietz liebt die Farbe Blau. Und sie liebt Textil. Die eigene Kollektion in Blau war da nur der nächste konsequente Schritt. Und so kann man es fast schon als „Bestimmung“ bezeichnen, dass ihre Passion mit ihrer eigenen Blaudruck-Kollektion unter dem Namen „INDIGO“ Früchte trägt. Prädikat: „wertvoll“, da traditionsbewahrend. Denn das Blaudruckverfahren ist vom Aussterben bedroht. Nur noch etwa zwölf Betriebe in Deutschland verfügend über die Expertise und das Handwerkszeug, dieses besondere Verfahren der Stoffveredelung umzusetzen. Katja Fietz, die im realen Leben auf einer Dresdner Intensivstation arbeitet, hat sich diesem Blaudruck verschrieben – und der sorbischen Tracht, die sie in ihrer Mode neu interpretiert. Und ist damit so gar nicht „von gestern“, wie wir im Gespräch mit ihr erfahren haben.

Frau Fietz, eigentlich arbeiten Sie als Krankenschwester auf einer Intensivstation. Kann man sagen, Sie sind auf Umwegen zum Modedesign gekommen?

Das stimmt. Ich arbeite seit fast 20 Jahren als Krankenschwester, habe mich unabhängig davon aber in meiner Freizeit schon seit vielen Jahren intensiv mit historischen Textilien und traditionellen textilen Gestaltungs- und Verarbeitungstechniken beschäftigt. Da war der Weg bis zum eigenen Gestalten in einer jahrhundertealten Technik gar nicht mehr so weit.

Herzstück Ihrer INDIGO-Modekollektion ist der Blaudruck. Nur noch zwölf Blaudruckwerkstätten in Deutschland und 15 in weiteren europäischen Ländern üben diese Form der Stoffveredelung heute noch aus. Die große Bedeutung des Blaudrucks hat die UNESCO 2018 sogar mit der Aufnahme in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit unterstrichen.  Frau Fietz, woher stammt Ihre Faszination für dieses besondere Kulturgut?

Es ist ein wunderbares altes Handwerk. Und ganz abgesehen davon, dass Blau als Farbe schon immer fasziniert hat, ist es auch meine Lieblingsfarbe. Meine erste Begegnung mit dem Thema Blaudruck hatte ich während meines Modedesign-Studiums. Im zweiten Semester unternahmen wir mit einer engagierten Dozentin einen Ausflug in die Manufaktur nach Pulsnitz. Ich war sofort Feuer und Flamme. Und mit der Verbindung von dreien meiner Lieblingsdinge - Textil, altes Handwerk und die Farbe Blau - wollte mich das Thema nicht mehr loslassen.

Können Sie uns ein wenig über diese besondere Technik erzählen?

Die Ursprünge des Blaudrucks reichen über 2.500 Jahre zurück, die des Blaufärbens - ohne die Musterung - sogar über 4.000 Jahre. Das Besondere an dem Verfahren ist, dass hier nicht mit blauem Farbstoff gedruckt wird wie der Name suggeriert. Blaugedruckte Textilien sind vollflächig blau, mit einem mehr oder weniger feinen weißen Muster, sodass es so wirkt, als würde man ein blaues Textil mit weißem Muster bedrucken. Diese Verwirrung liegt in der chemischen Besonderheit des Indigos als sogenanntem „Küpenfarbstoff“, der nur ein Färben der Stoffbahnen als Ganzes erlaubt. Und so beginnt das Verfahren des Blaudrucks tatsächlich gefühlt von hinten, nämlich beim Bedrucken des weißen Textils mittels des Models (Druckstempel) und einer Reservepaste. Diese nennt sich Papp, ist gräulich-blassgrün und dient einzig und allein dazu, die Stellen des Stoffes abzudecken, die beim Färben ausgespart werden sollen. Wenn der Papp nach ca. 10-14 Tagen durchgetrocknet ist, kann gefärbt werden. Und hier passiert etwas, das auch als „Blaues Wunder“ bezeichnet wird. In flüssigem und damit färbbarem Zustand ist Indigo nicht blau, sondern grasgrün. Und so sieht auch der Stoff aus, wenn er das erste Mal aus dem Färbebad gezogen wird. Um blau zu werden, binden die Indigomoleküle auf der Stoffoberfläche Sauerstoff aus der Luft an sich. Der Vorgang dauert ungefähr 20 Minuten und dem Betrachter dieses Schauspiels zeigt sich ein Farbwechsel von Grasgrün über Smaragdgrün, Türkis bis zu Blau. Hat das Blau durch mehrere Färbevorgänge die gewollte Tiefe erreicht, wird der Papp in einem großen Bottich ausgewaschen. Dort wo er auf dem Stoff saß, erscheint nun ein weißes Muster „auf“ blauem Grund. Der ganze Vorgang fasziniert es mich auch nach Jahren noch wie beim ersten Mal.

Mit seinen zarten Flächenmustern und kunstvollen Bordüren ist der Blaudruck noch heute Element der sorbischen und wendischen Tracht. Wie gelingt es Ihnen, dieses doch sehr traditionelle Verfahren modern zu interpretieren?

Blaudruck hatte immer schon die „Aufgabe“, Modeströmungen der reichen Oberschicht für die weniger reiche Landbevölkerung erschwinglich zu machen. Das kann man am Musterschatz, den sich die Pulsnitzer Werkstatt bewahrt hat, sehr gut ablesen. Es gibt Muster, die die opulenten Seiden-Jacquards des 18. Jahrhunderts imitieren, dann sehr viele „Model“ (Druckstempel), die im 19. Jahrhundert zur Zeit des Biedermeier mit seinen Streublümchen geschaffen wurden, und auch „moderne“ Muster aus geometrischen Kreisen, Linien und Wellen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gestaltet wurden, als Künstler wie Picasso und Kandinsky abstrakte Kunstwerke schufen. An Blaudruckmodeln kann man den Zeitgeschmack ablesen! Damit sind es beeindruckende Zeitzeugen.

Wen sprechen Sie mit Ihrer Mode an?

Tatsächlich sehr viele Menschen. Ich mache Damen- und Herrenmode für eine Kundschaft zwischen 20 und 85 Jahren. Besonders Herren freuen sich immer wieder, dass es „auch mal etwas für sie“ gibt. Meine Mode ist zeitlos – nicht nur durch den Blaudruck, sondern auch in ihrer Formgebung. Aktuelle Trends spielen da keine Rolle. Ich möchte Kleidung kreieren, die nicht abhängig von Modeströmungen ist, sondern auch in ein paar Jahren noch gern getragen wird. Und das wird von Kunden aller Altersstufen und geschlechtsunabhängig wahrgenommen.

Wie ist die Resonanz auf Ihre Kollektion – erleben Sie auch Gegenwind aus der Fraktion der „Trachten- und Brauchtumsverfechter“?

Ganz im Gegenteil! Tatsächlich habe ich bisher nur positive Rückmeldungen bekommen. Da meine modernen Entwürfe mit der traditionellen Tracht nicht konkurrieren, habe ich bisher nur Begeisterung und Freude erfahren, dass sich jemand dieses alten Handwerks annimmt. Denn am Ende erhöht die Beschäftigung mit dem Handwerk die Chance, den Blaudruck zu bewahren.

Haben Sie auch persönlich einen Bezug zur sorbischen Tracht?

Die Beschäftigung mit dem Blaudruck und die Nähe zur Lausitz bergen natürlich viele Berührungspunkte, denn die Blaudruckgemeinschaft ist klein und in der gesamten Lausitz zur Kulturerhaltung elementar. Durch meine wachsende Verbindung zu Institutionen der Pflege des wendisch-sorbischen Kulturerbes habe ich mich natürlich intensiv mit dem Blaudruck in der sorbischen Tracht auseinandergestzt. Für mich liegt mein persönlicher Bezug in dieser intensiven Beschäftigung, auch wenn ich persönlich keinen sorbischen Hintergrund habe.

Sie arbeiten mit der Blaudruck-Manufaktur in Pulsnitz zusammen, eine der ältesten Manufakturen Europas (gegründet 1633). Aus welchem Schatz können Sie hier schöpfen?

Die Manufaktur nennt über 1.200 Druckstempel ihr Eigen, allein über 270 reine Borten- und Kantenmodel. Das ist enorm, denn im Schnitt verfügt eine Blaudruckwerkstatt über 200-300 verschiedene Musterstempel. Ungefähr so viele sind auch in Pulsnitz im Gebrauch. Das bedeutet, dass viele alte Model sorgsam in Kisten und Regalen verwahrt werden. Die Bandbreite reicht von Mustern zum Füllen von Flächen über gerundete Model für Schürzen und runde Decken, Ecken- und Rahmenmodel für rechteckige oder quadratische Läufer, ganze Szenen mit Jagdmotiven, Tieren und christlichen Motiven bis zu Sprüchen (wie dem Schlesischen Hungertuch). Und natürlich sind auch Oster- und Weihnachtsmotive und sogar Sternzeichen vertreten. Einige Model kann man schon nicht mehr verwenden, weil sie so alt und abgenutzt sind, aber andere habe ich schon wiederentdeckt und in meiner Kleidung einen Platz gegeben.

Was folgt auch Ihre aktuelle INDIGO-Kollektion? Werden Sie weiter mit dem Blaudruck experimentieren oder gibt es bereits neue Ideen?

Oh, es gibt immer neue Ideen! Sie drehen sich alle um Blaudruck. Das unterstreicht sicher auch mein Umzug mit meiner Schneiderwerkstatt in die neu ausgebauten Räumlichkeiten in der Blaudruckwerkstatt in Pulsnitz. Ende Oktober geht es los, und am ersten November-Wochenende zum Pfefferkuchenmarkt findet die Atelier-Eröffnung dort statt. Dazu möchte ich alle Interessierten herzlich einladen – in die Bachstraße 7 in Pulsnitz, in der Alten Druckstube der Blaudruckwerkstatt Pulsnitz.