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Leben & Arbeiten

Bisongehege Wermsdorf

Wild West in Wermsdorf: das Bisongehege Wermsdorf

„Die mit den Bisons tanzt“ – diese Assoziation liegt nahe, wenn man Cora Lechner begegnet. Ihre Bisonfarm im sächsischen Wermsdorf umgibt schon ein wenig der Hauch des Wilden Westens. Fehlten nur noch die Cowboys mit lässiger Zigarette im Mundwinkel, die auf Pferden dem Sonnenuntergang entgegenreiten. Pferde sucht man in Cora Lechners Bisongehege in Wermsdorf zwar vergebens, dafür weidet hier ganzjährig auf rund 40 Hektar Fläche eine stattliche Herde von über 60 Bisons – ein Paradies für die felligen Gefährten, wie es sonst wohl nur in ihrer Heimat, der
nordamerikanischen Prärie, zu finden ist.

Und wie kommt man nun eigentlich darauf, ein Bisongehege im Norden Sachsens zu eröffnen? „Ursprünglich war das eine totale Schnapsidee“, erinnert sich Bisonhof-Besitzerin Cora Lechner. Als ihre Eltern sie nach einem Austauschjahr in South Dakota abholten, staunte ihr Vater, von Beruf Tierarzt, nicht schlecht über die ortsansässigen Bisonfarmer. 

Foto: Antje Kraemer photography

Schnell reifte der Plan, die heimischen 40 Hektar Weideland, die die Familie im Zuge der Wiedervereinigung zurückerhalten hatte, für die Bisonzucht zu nutzen. „Auf dem Rückflug nach Deutschland haben wir über die Idee noch geschmunzelt“, so Lechner, „bis mein Vater begann, eigenhändig über 1.000 Pfähle für die Zäune einzubetonieren. Da wussten wir: Er meint es ernst.“ Nach Stationen in München und Rheinland-Pfalz stiegen Cora und ihr Partner 2019 ins Bison-Business der Eltern mit ein und übernahmen das Bisongehege. Mitten in der Pandemie. „Einen ungünstigeren Zeitpunkt für den Einstieg ins Farmerleben hätte es kaum geben können“, erklärt Lechner rückblickend. Sie träumte von Kremserfahrten mit Bisons, hatte von Anfang an den Erlebnis-Charakter im Blick. Doch Schulter an Schulter eng beieinander im Kremser fahren? Zu der Zeit undenkbar.

Und doch sind es diese Kremsertouren, Hoffeste und das Traktortreffen, für die das Bisongehege nun weit über die Grenzen Wermsdorfs bekannt und beliebt ist. Die Besucher strömen alljährlich in Scharen zu diesen Höhepunkten zum Bisongehege, viele von ihnen genießen dann auch das köstliche Bisonfleisch, eine „absolute Delikatesse, die als gesündestes Fleisch gilt, weil sie weniger Fett als Hühnchen hat“, wie Lechner betont. Die anfängliche Skepsis vieler Kunden ist mittlerweile einer großen Begeisterung für das besondere Fleisch gewichen, das zu 100 Prozent der Bio-Freiland-Haltung entstammt. Die Tiere werden auf der Weide geschossen, sodass sie weder Stress noch Angst – beides wirkt sich erwiesenermaßen negativ auf den Geschmack aus – erleiden müssen. Sogar Vegetarier können sich ab und an für ein Stück Bisonfleisch erwärmen. Cora Lechners Papa ist einer davon.

Foto: pictureboss

Echte Gemüts- und Familientiere

Was viele nicht wissen: Bisons sind deutlich entspannter als ihre europäischen Vettern, die Wisente, und eignen sich daher perfekt für Kremserfahrten. An ihre Unterbringung stellen sie keine besonderen Ansprüche: Sie verbringen das ganze Jahr auf der Weide; selbst Schnee und Eis können ihnen dank ihres kälte- und wasserabweisenden Fells nichts anhaben. Aber sie brauchen eben auch viel Platz
und vor allem die Gesellschaft ihrer Herde.

Bison-Bilderbuchleben endet nach etwa dreieinhalb Jahren

Doch bei aller Begeisterung fürs Tier: Am Ende steht – natürlich – auch für die Wermsdorfer Bisons die Schlachtung. Nach mindestens 3,5 Jahren Bilderbuch-Leben auf dem Hof erfolgt die Weideschuss. Ziel danach ist es, möglichst alles vom sanften Riesen zu verarbeiten. So werden aus der Haut beispielsweise Trommeln gebaut. Es gibt auch Schamanen, die die Knochen für Rituale verwenden, nachdem sie das Tier und dessen Leben vorher „kennengelernt“ und als würdig empfunden haben. Etwas spirituell, oder? Ja, das war auch für Cora Lechner eine bis dato eher unbekannte Perspektive. Das Spannende an ihrem nicht ganz so alltäglichen Beruf seien ja aber gerade diese Begegnungen mit Menschen, die etwas gänzlich anderes machen. Und manchmal ist das eben auch ein Schamane.

Und wie bekommt die junge Bäuerin Arbeit und Familie unter einen (Cowboy-)Hut? Nicht ohne Unterstützung, so viel ist klar. „Ganz viele Leute helfen freiwillig auf dem Hof mit, auch meine Eltern sind weiterhin dabei“, erläutert sie. Als Dank gebe es dann Bisonfleisch statt Geld. Auf dieses Netz könne sie sich immer verlassen, „das ist ein Konstrukt, das miteinander wächst.“

Eigene Hobbys wie Töpfern oder Gitarre spielen bleiben leider trotzdem auf der Strecke. „Auch mein Haus ist nicht immer perfekt aufgeräumt, und ich bin nicht immer top gestylt“, gibt Cora Lechner lachend zu. Aber alles nicht schlimm, denn: „Im Grunde ist mein ganzes Leben mein Hobby!“ Und ihr praktischer Go-To-Style, zwei geflochtene Zöpfe unter einem Bandana, passt ganz hervorragend ins Wild-West-Ambiente.

Das ist vor allem beim alljährlichen Bisonfest spürbar, dem Highlight im Wermsdorfer Bisongehege. Alljährlich am ersten Juli-Wochenende findet es statt, bereits kurz nach
Silvester beginnt die Planung. Telefonate mit Schaustellern, Lederschmuckmachern, Knochenkünstlern, Handwerkern, Flyer- und Anzeigengestaltung, zudem die Bewerbung auf Social Media. Ein ziemlicher Kraftakt, aber eben auch ein Herzensprojekt mit Potenzial. Auf Instagram und Facebook verfolgen mittlerweile mehr als 4.000 Follower das tägliche Treiben auf dem Hof. Nächstes Highlight: das Traktortreffen am 8. September 2024. Danach ist erst einmal Winterpause. Für Mensch und Tier.

Weitere Fotos: Cora Lechner / Dietmar Sönitz / Antje Kraemer photography / Carola Scharfschwerdt / pictureboss