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Dr. Martin Päckert

Dr. Martin Päckert

Auch Vögel singen in verschiedenen Dialekten

Verkehrszählungen gehören heute zum Stadtbild dazu. Aber eine Stadtvogelzählung? Für Dr. Martin Päckert ganz normaler Arbeitsalltag. Der Ornithologe arbeitet im Museum für Tierkunde - mit mehr als sechs Millionen Tierpräparaten eine der zehn großen zoologischen Forschungssammlungen Deutschlands. Unter dem Dach der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden, zu denen auch das Museum für Mineralogie und Geologie zählt, zählt das Dreigestirn zu den weltweit ältesten naturwissenschaftlichen Museen. Wir haben mit Dr. Päckert gesprochen, über seine Begeisterung für die kleinen, leisen, einheimischen
Vogelarten, über die Wiederkehr des Wiedehopf und darüber, dass auch Vögel in unterschiedlichen „Dialekten“ singen.

Herr Dr. Päckert, woher kommt Ihre Begeisterung für Vögel?
Ich habe mich schon als Kind für das Verhalten von Tieren interessiert. Vor allem Vögel haben mich wegen ihrer vielfältigen Lautäußerungen fasziniert. Sie singen, imitieren Geräusche und Sprache. Graupapageien können sogar in einfachen Sätzen mit uns kommunizieren.

Sie zählen zu den ausgewiesenen Experten im Bereich Ornithologie: Was ist Ihr Spezialgebiet?
Ich bin durch die Bioakustik zur Ornithologie gekommen, also durch die Analyse von Vogelstimmen. Man könnte auch sagen: Ich betreibe Dialektforschung an Vögeln. Die Goldammer singt zum Beispiel in den verschiedenen Regionen von Sachsen in unterschiedlichen Dialekten. Verrückt, oder? Heute wende ich auch molekulargenetische
Methoden an, um die Ausbreitungs- und Evolutionsgeschichte der Vögel besser verstehen zu können.

Und was genau macht ein Ornithologe?
Zum einen betreue ich unsere Vogelsammlung mit ihren etwa 92.000 Objekten. Dazu gehört auch die digitale Erfassung der historischen Bestände sowie der Leihverkehr. Weil ich „nebenbei“ auch noch die ornithologische Forschung vorantreiben darf, investiere ich viel Zeit in das Verfassen von Fördermittelanträgen und von Publikationen unserer Forschungsergebnisse.

Welche sind in Sachsen die am weitesten verbreiteten Vogelarten?
2023 waren laut der Zählungen zur „Stunde der Gartenvögel“ die fünf häufigsten Vogelarten in Sachsen der Haussperling, der Star, die Kohlmeise, die Amsel und die Blaumeise. Zu den am wenigsten verbreiteten – und damit besonders schützenswerten – zählt der Rotmilan. Etwa die Hälfte aller Rotmilane brüten in Deutschland, davon ein Großteil in Ostsachsen. Wir tragen also eine besondere Verantwortung für diese Greifvogelart.

Mit welchem (Forschungs-)Projekt sind Sie aktuell betraut?
Seit 2020 führen wir in Dresden regelmäßige Winterzählungen von Stadtvögeln durch. An diese schließt sich im Frühjahr eine Nesterkartierung von Rabenkrähen und Nebelkrähen an, die hier auch gemeinsam brüten und erfolgreich Junge großziehen. In diesem Jahr starten wir außerdem ein neues Rebhuhn-Projekt. Diese früher flächendeckend verbreitete Art ist heute stark bedroht und in Sachsen nur noch sehr lückenhaft verbreitet. In sächsischen Museen sind aber noch viele historische Exemplare erhalten, die Aufschluss über die einstige Verbreitung und über mögliche Verluste genetischer Vielfalt während der letzten hundert Jahre geben können.

Was muss man sich unter einer Stadtvogelzählung vorstellen und warum ist diese vonnöten?
Jüngst erst haben verschiedene sächsische Natur- und Vogelschutzverbände gemeinsam den neuen Dresdner Brutvogelatlas veröffentlicht, für den mehr als sechzig Freiwillige mehrere Jahre lang Daten auf etwa zweihundert Rasterfeldern der Stadtfläche erhoben haben. Solche Arbeiten fördern immer wieder wichtige Trends für den Naturschutz zu Tage, zum Beispiel, welche Vogelarten im Bestand gerade zurückgehen, ganz verschwunden sind oder sich neu angesiedelt haben. Zu letzteren zählen sowohl einheimische Arten wie der Gänsesäger oder auch invasive Arten wie die Nilgans. Über unerwartete Rückkehrer wie den Wiedehopf freut man sich natürlich besonders.

Welches ist Ihr persönlicher Lieblingsvogel?
Das Wintergoldhähnchen. Wir übersehen unsere kleinsten einheimischen Vögel leicht, weil sie meist ganz oben in den Wipfeln der Nadelbäume unterwegs sind. Zudem ist ihr Gesang sehr leise, sodass man genau hinhören muss. Bei uns singen die Wintergoldhähnchen im Walzertakt, auf den Azoren oder den Kanaren gibt es wiederum eigene Inseldialekte mit einem gänzlich anderen Rhythmus.

Was können wir von den Vögeln lernen?
Das wusste schon Matthäus (6,26): Sie säen nicht, sie ernten nicht, und unser Herr ernährt sie doch. Soll heißen: Abgesehen von einer gesunden Umwelt und ausreichend Futter (hier besteht ein gewisser Zusammenhang) gibt es in unserem Alltag so vieles, was wir nicht wirklich brauchen. Es gäbe also Anlass zu einer entspannteren Lebenseinstellung, selbst wenn nicht jedes Objekt unserer Begierde per Mausklick für uns erreichbar ist.

Sie leben und arbeiten in Sachsen. Was schätzen Sie an Ihrer Heimat?
Dresden ist seit 2006 meine Wahlheimat und nach wie vor wegen ihres vielfältigen Kulturangebots eine sehr inspirierende Stadt für mich. Ich habe hier immerhin meine erste (und bisher einzige) Unterwasseroper gesehen. Und obwohl ich in der Pfalz aufgewachsen bin, muss ich gestehen: Der Sächsische Wein ist phänomenal gut!

Wann haben Sie sich das letzte Mal – und warum – so richtig über die Sachsen geärgert?
Immer dann wenn jemand aus persönlicher Geltungssucht oder politischem Kalkül die große
Bühne zum Querquatschen missbraucht – der Begriff „Denken“ verbietet sich in diesem
Zusammenhang.

Welche Klischees über die Sachsen regen Sie am meisten auf?
Für mein Empfinden ist mit abwertenden Begriffen wie „Dunkeldeutschland“ niemandem gedient. Ich erlebe hier in Dresden selbst während unserer krisengeplagten Zeit immer wieder sehr helle Momente.

Abschließend eine nicht ganz ernst gemeinte Frage: Welchem Vogel ähnelt der „gemeine Sachse“ am ehesten?
Meine Oma sagte gerne: „Der Herrgott hat einen großen Tiergarten.“ In diesem Sinne menschelt es bei uns in Sachsen in einer erstaunlichen Vielfalt von Eulen und Lerchen, Graugänsen und Pfauen, Nachtigallen und Braunkehlchen.