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hochroth Verlag

Poeten ohne Moneten? Lust auf Lyrik!

Leipzig
In Zusammenarbeit mit

„Lyrik ist kein Luxus in Krisenzeiten, sondern ein Lebenszeichen“, soll der niederländische Autor Cees Nooteboom einmal gesagt haben. Lebenszeichen, die immer mal wieder aufflackern. So wie 2015 und 2017, als der Lyriker und Übersetzer Jan Wagner zunächst den Preis der Leipziger Buchmesse und dann mit dem Georg-Büchner-Preis den renommiertesten Literatur-Award im deutschsprachigen Raum erhalten hat. Auch große Krisen wie die Corona-Pandemie und aktuell die russische Aggression gegen die Ukraine verschaffen der Lyrik immer wieder größere Durchsetzungskraft. Als Lebenshilfe, Orientierung oder schlicht als Ablenkung. Ebenso Trends wie Poetry Slams, und selbst Twitter (twyrics!) hilft. Das können auch die Preisträgerinnen des Sächsischen Verlagspreises Ulrike Feibig und Martina Lisa vom hochroth Verlag Leipzig bestätigen. Und dennoch: Lyrik ist kein einfaches Geschäft.

Ulrike Feibig Foto: Alexander Nemitz

Dann sind 10.000 Euro Preisgeld – jenseits von Ehre und Wertschätzung - einfach eine große Hilfe. Für Messeauftritte, die Organisation von Lesungen oder schlicht für den Kauf eines neuen Druckers. - „Poeten ohne Moneten“. So hat das Börsenblatt einst einen Artikel zur Einkommenssituation von Dichtern in Deutschland überschrieben. Danach lagen 2017 die Einnahmen aus schriftstellerischer Tätigkeit jährlich bei 10.000 Euro oder weniger. 45 Prozent derjenigen, die neben der schriftstellerischen Arbeit keiner weiteren Tätigkeit nachgehen, lagen mit ihrem Einkommen unter der Armutsgrenze. Man darf getrost davon ausgehen, dass sich auch fünf Jahre später an dieser Grundkonstellation nur wenig geändert hat.

Heißt im Umkehrschluss, dass auch Profit mit Poesie für Lyrik-Verlage ein eher schwieriges Unterfangen ist. Langfristig arbeiten Institutionen wie das bundesweit agierende Netzwerk Lyrik e.V. daran, die prekären Verhältnisse zu verbessern.

Was aber hilft, sind Leidenschaft und echte Lust auf Lyrik und alternative Modelle wie der hochroth Verlag, der „nicht Bücher druckt, um Geld zu verdienen, sondern um Literaturinteressierte direkt zu erreichen und die Aufmerksamkeit auf Autoren und Texte zu lenken, die sonst keine Chance auf dem Buchmarkt hätten.“

Martina Lisa Foto: Paul Jeute
Foto: hochroth

Kollektiv zur Qualität

Gegründet 2008, versteht sich hochroth als gemeinnütziger Literaturvermittler, vor allem aber als europäisches Verlagskollektiv mit aktuell sechs Standorten in Deutschland (München, Berlin, Leipzig, Heidelberg, Bielefeld, Wiesenburg). Zwischenzeitlich waren aber auch Ableger in Budapest, Paris, Wien und Riga aktiv. Das Arbeiten in Kollektiven ist in der Gegenwartskultur zur Selbstverständlichkeit geworden. Werke und Projekte sind häufig Ergebnis von Verhandlungen und dem Zusammenspiel zahlreicher Akteure.

Bei hochroth heißt das: Das Programm wird durch autarke Entscheidungen der Standorte und das übereinstimmende Selbstverständnis geprägt. Im Netzwerk und auf Basis ehrenamtlichen Engagements lassen sich schwierige Literatur- und Publikationsprojekte mit hohem Anspruch kostengünstig umsetzen. Auf diese Weise entstehen qualitativ hochwertige, bibliophile Bände in kleinen Auflagen, die, so die hochroth-Philosophie, „zum Lesen geschaffen werden, die keine Gedanken an Geld, Prestige oder sonstigen Übermut aufbringen und damit einem übergeordneten Ziel verpflichtet sind – gute Literatur“.

Und das mit Erfolg. Die aktuelle Autoren- und Übersetzer-Liste umfasst knapp 200 Namen, berühmte wie Helga M. Novak, Thomas Brasch oder Nelly Sachs, dazu jede Menge mögliche Entdeckungen und neue Stimmen.

Foto: hochroth

Pionierarbeit Richtung Osten

„Ehrenamtlich und leidenschaftlich“, so beschreiben Feibig und Lisa ihre Verlagsarbeit. Die Dichterin und die Übersetzerin gehören zum fünfköpfigen Team der Leipziger hochroth-Dependance, die seit 2012 aktiv ist. Außerdem sind Chris Michalski, Paul Jeute, Clemens Böckmann und Giorgio Ferretti dabei.

Schwerpunkte der Leipziger Gruppe sind Kurzprosa und fremdsprachige Lyrik. Im Programm kommen sowohl junge zeitgenössische Autoren, als auch literarische Wiederentdeckungen zu Wort. In der „Edition OstroVers“ erscheint beispielsweise 2018 neue Lyrik aus Mittel- und Osteuropa. Pionierarbeit Richtung Osten. Seit 2022 existiert auch, angegliedert an hochroth Berlin, der Exilverlag hochroth Minsk, geführt vom Dichter Dmitri Strozew,. Er veröffentlicht Lyrik auf Belarussisch, die in Belarus derzeit nicht publiziert werden darf.

Wichtigstes Ziel der ehrenamtlichen Verlegerinnen ist es, Lyrik aus der Nische zu holen, Sichtbarkeit für Werke und Autoren herzustellen. Das ist nicht einfach und funktioniert am besten über Direktvertrieb. So findet man hochroth-Mitarbeiter und Autoren auf zahlreichen Veranstaltungen in Leipzig, natürlich auch auf der Leipziger Buchmesse und in ihrem Rahmenprogramm „Leipzig liest“. Hier gibt die von hochroth 2012 initiierte Lyrikbuchhandlung einen Einblick in die aktuellen Programme zahlreicher unabhängiger Verlage aus dem deutschsprachigen Raum und Autoren und Verlegern abseits des Messegeschehens eine Bühne für Austausch und Impulse.

Dennoch, so bemängeln Feibig und Lisa, fehle es außerhalb der großen Buchevents an weitreichender Präsenz für die Poesie und ihre Verlage.  Außerdem müsse die Vermittlung von zeitgenössischer Literatur ihrer Ansicht nach in den Schulen viel früher und qualifizierter beginnen. Damit nicht das passiert, was der preisgekrönte Jan Wagner einmal in einem Deutschlandfunk-Interview zu Protokoll gab: „Ich glaube, dass die Schule den Menschen die Gedichte vermiest hat. Es ist ein Grundproblem, dass die Leute denken, ein Gedicht ist etwas, das man interpretieren muss, dem man etwas abpressen muss.“ Dabei sei, so Wagner, die Lyrik etwas, mit dem die Leute spielen könnten, das ihnen helfen könne, die Welt zu entdecken. Ein Credo, dass auch Ulrike Feibig und Martina Lisa teilen.

hochroth Verlag

hochroth ist ein Verlagskollektiv mit sechs eigenständigen Standorten, die sich der Publikation von Lyrik widmen.

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