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Lichtfest Leipzig - Sabine

Lichtfest Leipzig - Sabine

Leipzig
Sabine

Damals stand das „Wir“ im Vordergrund

Das Lichtfest erinnert jedes Jahr am 9. Oktober an die Friedliche Revolution von 1989.

Wie sah Deine Situation 1989 aus?

Meine zwei Töchter waren zu der Zeit schon geboren. Ich gehörte zu der Generation, die ein Babyjahr nehmen konnten und war dementsprechend in der Zeit der Wende zuhause mit meinen zwei Kindern. Mein Mann wurde im September 1989 für drei Monate als Reservist der NVA eingezogen und musste in die Nähe von Cottbus.

Wie war das für ihn, dass er dort eingezogen wurde?

Das war für ihn nicht so prickelnd. Unsere Tochter, Katharina, war erst ein halbes Jahr alt. Man hat ja damals schon die Aufbruchstimmung wahrgenommen und wusste natürlich nicht, wozu die Soldaten eingesetzt wurden. Das war alles sehr ungewiss und unbehaglich. Mein Mann, Ralf, war Fernmeldetechniker bei der Post. Er ist manchmal dann heimlich ausgebüxt, um uns zu besuchen. Als er dann vor unserer Tür stand, ging ich davon aus, das sei genehmigt worden. Er hat damals im Dienst seinem Kumpel seine Waffe in die Hand gedrückt und ist mit Bus und Bahn zu uns gefahren. Ralf kam nachts an und musste schon am nächsten Morgen wieder los, um pünktlich zurück zum Dienst zu erscheinen. Da hätte er sich wirklich nicht erwischen lassen dürfen. Ansonsten haben wir uns in dem Vierteljahr Briefe und Karten geschrieben.

Wie war das für Dich, als Du erfahren hast, dass er eingezogen wird?

Das war natürlich ein ungünstiger Zeitpunkt. Man hatte ein ungutes Gefühl. Wir konnten kaum kommunizieren, sondern mussten warten, bis eine Nachricht kam. Das kann man sich in der Zeit des Handys gar nicht mehr vorstellen. Und wenn man doch mal die Möglichkeit hatte zu telefonieren, wusste man gar nicht, was man am Telefon alles erzählen durfte. Man wusste ja nicht, wer alles mithört.

Wie hast Du die Grenzöffnung erlebt und welche Gefühle hattest Du dabei?

Die Maueröffnung habe ich nur im Fernsehen mitbekommen. Da kam sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Verantwortlichen eine Unruhe und Ungewissheit für die Zukunft auf. Der Chef meines Mannes bemühte sich dann die Soldaten zurückzuholen, weil eben Fernmeldetechniker für die Kommunikation gebraucht wurden. Und so kamen viele Soldaten schon vor Ablauf der Reservezeit zurück.

Aber als ich da vor dem Fernseher saß, wusste ich nicht, was kommt. Man konnte in den Westen gehen, um dort Bananen für die Kinder zu holen, ohne langes Anstehen. Die ersten Gedanken waren, dass man einfach mal etwas anderes sehen konnte. Aber ich konnte in dem Moment mit den Kindern nicht weg. Ich konnte das alles nur im Fernsehen sehen und nicht die Freude der Masse live miterleben.

Wie lange hat diese erste Euphorie angehalten und wann warst Du das erste Mal im Westen?

Erst einmal lebten alle ihre Reiselust aus und haben sich das Begrüßungsgeld abgeholt. Man hat erkundet, wie es da drüben aussieht und ist in Kaufhäuser gegangen. Ich war dann im Januar/Februar 1990 das erste Mal im Westen. Wir sind mit meinem Bruder zu viert im Trabi gefahren. Ich bin zuallererst in eine Drogerie gegangen. Das roch da so schön und es gab dort alles. Da habe ich dann Mütter gesehen, die mit ihrem Kinderwagen durch das Geschäft fuhren. Das gab es bei uns nicht. Teilweise haben die Mütter ihre Kinderwagen vor dem Geschäft gelassen und sind einkaufen gegangen, während die Kleinen geschlafen haben. Früher musste man eben nicht solche Angst um die Kinder haben.

Wie habt ihr das betrachtet, als die Montagsdemonstrationen losgingen?

Das war spannend und ich habe die Leute für ihren Mut bewundert. Ich habe mich gefreut, dass etwas passiert. Man hatte am Anfang auch Angst. Aber als Familie waren wir den Repressalien nicht so sehr ausgesetzt. Mein Vater ist damals zur Beerdigung seines Vaters in den Westen gefahren. Das wurde dann schon hinterfragt. Da wurden die Hausbewohner ausspioniert und ausgefragt über meine Eltern. Aber das war das einzige Mal, dass wir von so etwas betroffen waren.

Zu der Zeit spürte man immer diesen Druck. Alles musste. Ich hatte damals schon den Traum Kindergärtnerin zu werden. Und im Studium wurde einem der Marxismus-Leninismus aufgedrückt, wo ich dann hinterfragt habe, was das denn mit Kindern zu tun haben soll. Der Bildungs- und Erziehungsplan musste genau befolgt werden und es gab immer einen politischen Hintergrund.

Wer hat Dich in der Zeit unterstützt, als Dein Mann eingezogen wurde?

Meine Schwiegereltern wohnten, so wie ich, in Grünau. Meine Schwiegermutter war Hausfrau und hat mir schon mal geholfen. Aber ansonsten habe ich das alleine gemeistert. Ich bin gut klargekommen. Natürlich war das eine anstrengende Zeit, aber ich habe mich nie alleingelassen gefühlt. Wir hatten eine Hausgemeinschaft junger Mütter und haben uns  gegenseitig unterstützt bei der Kindesbetreuung und uns ausgetauscht.

Hättest Du damals von Grünau aus die Möglichkeit gehabt an den Demonstrationen in der Innenstadt teilzunehmen?

Ja, ich hätte mich in die Straßenbahn setzen und in die Innenstadt fahren können. Aber das wäre mir zu riskant gewesen mit den Kindern, insbesondere mit Katharina, die noch ein Baby war. Wäre mein Mann zu der Zeit da gewesen, hätte man natürlich sagen können, einer geht hin.

Welche Wünsche standen für Dich und Deine Kinder im Vordergrund, als Du gemerkt hast, es könnte sich etwas verändern?

Der größte Wunsch war die Reisefreiheit, um den Kindern die Welt zeigen zu können und die Verwandtschaft zu besuchen. Ansonsten habe ich in meinem Schulstudium damals nicht gelitten. Da frage ich mich heute eher, ob das Schulsystem so in Ordnung ist. Ich empfinde den Leistungsdruck heute als höher.

Wie war es damals in Grünau? Heute wird das Wohnviertel manchmal negativ angesehen?

Für uns war das damals ein Glücksfall. Ralf hat zu der Zeit durch seine Arbeit bei der Post eine Einraumwohnung mit Fernheizung und Bad bekommen. Zu der Zeit wurden Einraumwohnungen eher gesucht als größere, sodass wir einen Wohnungstausch gemacht haben. Es gab damals viele Zeitungsannoncen zur Wohnungssuche und ansonsten lief vieles über Mundpropaganda. So hatten wir dann das Glück, eine Dreiraumwohnung zu bekommen. Ich selbst bin im Altbau im Südteil der Stadt aufgewachsen ohne Bad und mit Ofenheizung. Da musste man als Kind noch Kohle holen. Früher gab es einen Wohnungsmangel, weshalb viele Leute geheiratet haben, um überhaupt eine Chance auf eine Wohnung zu haben. Unverheiratet hat man da keine Chance gehabt. Es gab nach der Hochzeit dann einen Ehekredit, von dem man sich beispielsweise Möbel kaufen konnte.

Das diesjährige Motto des Lichtfestes ist „ich. die. wir.“. Wie passen diese Worte in Eure damalige Situation?

‚Ich‘ war ich als Frau und Mutter. ‚Wir‘ waren unsere Familie, Freunde und Kollegen. ‚Die‘ war die Partei, die Obersten, die uns sagen wollten, was wir tun uns lassen sollen. Die, die engstirnig waren und mit denen man nicht reden konnte und die uns stur ihren Weg aufdrängen wollten. Damals stand das ‚Wir‘ im Vordergrund – die Gemeinschaft.

Was meinst Du, wo kam dieses starke ‚Wir‘-Gefühl her?

Früher gab es diesen Leistungsdruck nicht so sehr. Heute wollen alle zeigen, was sie erreicht haben. Damals hatte man seinen Zeitplan. Man hat die Schule gemacht und dann die Lehre. Man musste sich in der Hinsicht nicht viele Sorgen machen, wie der nächste Schritt aussieht. Du hattest Zeit, deinen Sport zu machen, Zeit für deine Familie und Freunde. Früher hat man sich zu Geburtstagen einfach zusammengesetzt. Da brauchte es nicht viel. Heute wirkt das alles anstrengend. Da gibt es Partyplaner und Co. Und das nur, um zu zeigen, was man hat. Das war damals lockerer und leichter. Heute liegen die Werte auf dem Äußeren, dem Zeigen, was man hat. Damals hatten viele Leute nicht viel und trotzdem gehörten alle dazu.

Wie hat sich das Frauenbild im Vergleich zur DDR heute verändert?

Ich denke, das hat sich gar nicht so sehr verändert. Schon in der DDR hatte die Frau einen besseren Stand als in Westdeutschland. Wir haben schon immer unsere Frau gestanden, haben Kinder bekommen und sind wieder arbeiten gegangen. Bei uns war es eher die Ausnahme, das jemand mit den Kindern zuhause geblieben ist. Und heute ist es auch eher so, dass die Frauen wieder arbeiten gehen. Ich glaube aber, dass es heute schwieriger ist als Alleinstehende mit einem Kind noch arbeiten zu gehen. Bei uns ist damals kaum ein Kind in den Kindergarten gegangen. Da wurde man von den Großeltern mit aufgezogen.

Welche Rolle hatte, Deiner Meinung nach, die Frau bei der Friedlichen Revolution?

Bei den Demonstrationen waren Frauen und Männer gleichermaßen an der Front. In der DDR hat die Frau da schon eine bedeutende Rolle gespielt. Damals hat niemand gesagt, das darfst du nicht, weil du eine Frau bist. Wir haben genauso unseren Mann gestanden wie die Männer. Ich glaube, die Interessen von Mann und Frau haben sich dabei gar nicht zu sehr unterschieden. Das Hauptziel war für alle, dass es eine Veränderung geben musste. Alle wollten frei sein und ihre Träume verwirklichen, ohne Repressalien fürchten zu müssen.

Vervollständige bitte folgende Sätze:

1. Als mein Mann zur Reserve gezogen wurde, … war mir ziemlich mulmig zumute.

2. Meine Wohnung in Grünau … war damals Gold wert.

3. Wenn ich jetzt auf die Zeit zurückblicke, … hatte ich weniger Angst um meine Kinder.

4. In Leipzig … fühle ich mich wohl.

5. Mein Leben … ist glücklich und ich hoffe, immer gesund zu bleiben und meine Kinder und Enkelkinder auch.

Fotos: VIERTELRAUSCH

Leipziger Thomanerchor

Einer der ältesten Knabenchören Europas, weltweit für seinen Klang berühmt. Nicht nur wegen seinem ehemaligen Kantor: Johann Sebastian Bach.

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